In Konstanz hat erstmals eine Patientin eine zivilrechtliche Klage gegen Valsartan-Hersteller eingereicht. Wie die mit dem Fall betraute Kanzlei Schnepper Melcher bekannt gibt, handelt es sich um eine 80-jährige Frau, die an Nierenkrebs erkrankt ist. Ihr Anwalt sieht gute Chancen auf Schadensersatz. Strafrechtlich sieht es für potenziell geschädigte Patienten schwieriger aus: Vergangenen Freitag hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen 1A Pharma und Mylan abgewiesen.
Es sei „offensichtlich die erste Klage einer von der Einnahme mit krebserzeugenden Nitrosaminen verunreinigten Arzneimitteln betroffenen Patientin“, so die Kanzlei. Heiko Melcher, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, vertritt eine 80-jährige Frau aus Baden-Württemberg, die an Krebs im Endstadium leidet. Auf Anfrage erklärt er, sie habe von August 2013 bis Juli 2018 die Höchstdosis von 320 mg am Tag genommen, stets generische Versionen von 1A, Mylan und Hexal. Vergangenes Jahr erkrankte sie an Krebs, ihre linke Niere musste bereits entfernt werden.
Anwalt und Klägerin geben den drei Generikaherstellern eine maßgebliche Schuld an der Erkrankung und machen deshalb Auskunfts-, Schmerzensgeld- und Feststellungsansprüche geltend. Sie argumentieren, dass sowohl die Gefährdungshaftung aus § 84 Arzneimittelgesetz (AMG) als auch das Unterlassen notwendiger Kontrollen im Herstellungsland die Ansprüche begründen.
§ 84 AMG regelt den Schadensersatz für Patienten, die durch ein Arzneimittel geschädigt wurden. „Der Paragraph stärkt die Patientenrechte, indem er in solchen Fällen gewissermaßen eine Umkehr der Beweislast festschreibt“, erklärt Melcher. „Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist“, heißt es in § 84 Abs.2 AMG. Diese Eignung wird im Einzelfall nach mehreren Faktoren beurteilt: der Zusammensetzung und der Dosierung des Arzneimittels, Art und Dauer der Anwendung, zeitlicher Zusammenhang mit dem Schadenseintritt, Schadensbild und gesundheitlicher Zustand des Geschädigten im Zeitpunkt der Anwendung „sowie allen sonstigen Gegebenheiten, die im Einzelfall für oder gegen die Schadensverursachung sprechen“, so der Gesetzestext.
Der Anlass für die jetzige Klageerhebung sei der Gesundheitszustand seiner Mandantin. Das Ende des Verfahrens wird sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr erleben. „Es wird mindestens zwei Jahre dauern, bis das entschieden ist“, sagt Melcher. „Aber ich sehe die Chancen als günstig an, dass wir das Verfahren gewinnen.“ Hinzu komme die Veröffentlichung des eines Gutachtens über die Gesundheitsgefahren der Arzneimittelverunreinigungen in dem von der Europäischen Kommission eingeleiteten Risikobewertungsverfahren.
Damit meint Melcher das Gutachten des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), das Anfang Februar veröffentlicht wurde. Demnach könnte die Verunreinigung des betroffenen Valsartans mit dem Nitrosamin N-Nitrosodimethylamin (NDMA) unter 100.000 Patienten, die über einen Zeitraum von sechs Jahren täglich die Höchstdosis von 320 mg eingenommen haben, über deren Lebenszeit zu 22 zusätzlichen Krebsfällen führen.
Die Verunreinigungen mit dem Nitrosamin N-Nitrosodiethylamin (NDEA) wiederum könne zu acht zusätzlichen Krebsfällen bei 100.000 Patienten führen, wenn sie das Medikament mit der höchsten täglichen Dosis über vier Jahre eingenommen hätten. „Das sieht erst einmal nach wenigen Prozent aus“, interpretiert Melcher die Ergebnisse. „Aber wenn man sich das von der Seite der Patienten anschaut, ist das ein nicht unerhebliches Risiko.“
Bereits vergangenen August hatte die Europäische Arzneimittelagentur EMA eine erste Einschätzung zum Krebsrisiko durch die Valsartan-Verunreinigungen veröffentlicht und war zur Einschätzung gelangt, dass „kein unmittelbares Patientenrisiko“ bestehe. Damals war die Rede von einem zusätzlichen Krebsfall unter 5000 Patienten, die über einen Zeittraum von sieben Jahren täglich mit der höchsten Valsartan-Dosis von 320 mg behandelt werden. Die US-Arzneimittelbehörde FDA kam kurz zuvor in einem ähnlichen Bewertungsverfahren zum Ergebnis von einem zusätzlichen Krebsfall unter 8000 Patienten.
An anderer Stelle ist der Versuch einer juristischen Aufarbeitung des Valsartan-Skandals bereits gescheitert. Am 15. Februar wies die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth die Anzeige einer Patientin gegen Mylan und 1A Pharma ab. Eine Frau aus Nürnberg hatte die beiden Unternehmen wegen Körperverletzung angezeigt, „da sie ein Blutdruckmittel vertrieben haben sollen, welches mit potentiell krebserregenden Substanzen verunreinigt gewesen sein soll“, drückt es die Staatsanwaltschaft aus.
Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahren wegen verfolgbarer Straftaten werde jedoch abgesehen. Dieses sei nämlich laut Strafprozessordnung nur dann einzuleiten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die es „nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgte Straftat vorliegt“. Das sei nicht der Fall. Denn durch eine „bloße Rückrufaktion“ könne weder auf eine vorsätzliche, noch auf eine fahrlässige Körperverletzung durch den Vertrieb des Medikaments geschlossen werden. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die beiden Unternehmen Kenntnis von den Verunreinigungen gehabt haben oder hätten haben müssen. Etwaige zivilrechtliche Ansprüche – wie sie die Patientin aus Baden-Württemberg nun erhebt – werden durch die Entscheidung nicht berührt.
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