Versandhandel

Geschmolzene Kapseln – und alle sehen weg

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Berlin -

Apotheker Christopher Kreiss interessierte sich dafür, wie Versandapotheken temperaturkritische Arzneimittel behandeln. Als er im Juli die eingeschmolzenen Vaginalkapseln von DocMorris aus der Postfiliale abgeholt hatte, informierte er Gott und die Welt über den Vorfall. Das Ergebnis ist alles andere als befriedigend.

GlaxoSmithKline (GSK) vertreibt die Döderlein-Vaginalkapseln für die Diapharm-Tochter Hälsa. Laut Hersteller ist die Transportbedingung für die Kapseln „Tempcontrol“. Das bedeutet, dass sie „unter kontrollierten Bedingungen normal transportiert werden können“. Da der Transport zum Kunden in der Regel von kurzer Dauer sei, würden die Lagerbedingungen hier nicht gelten. „Die Transportbedingungen wurden anhand der Produkteigenschaften und der Stabilitätsdaten ermittelt“, so GSK.

Die stellvertretende Sicherheitsbeauftragte für Medizinprodukte von Diapharm schrieb Kreiss: „Das Produkt wurde in einem nicht angemessenen Zustand an Sie ausgeliefert.“ Die vom Apotheker eigens beauftragten Untersuchungen hätten gezeigt, dass die angegebene Mindestanzahl an Bakterien nicht mehr gewährleistet sei. Die gemessenen 12 Millionen KBE im gelieferten Produkt entsprächen nur noch 1/17 der Mindestkonzentration. „Dies ist definitiv nicht in unserem Sinne“, so der Hersteller.

Doch um ein „Vorkommnis“ im Sinne der maßgeblichen EU-Richtlinie oder des Medizinproduktegesetzes (MPG) handele es nicht, es sei auch keine Gefahr in Verzug. Denn sowohl auf der Packungsbeilage als auch auf dem Verpackungskarton sei angegeben, dass das Produkt nicht über 20 °C gelagert werden dürfe. Ein verminderter Bakterieninhalt führe zudem nicht zu unerwünschten Nebenwirkungen, sondern maximal zu einer verminderten Wirksamkeit.

„Wir werden die Vertriebswege von unserer Seite prüfen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen ergreifen“, kündigt die Sicherheitsbeauftragte von Diapharm an. Auch GSK sei informiert worden, „um gegebenenfalls Maßnahmen in Bezug auf den Versand seitens ihrer Vertriebspartner wie zum Beispiel Online-Apotheken einleiten zu können“, heißt es weiter.

Kreiss hat überdies einen breiten Kreis an Empfängern über den Vorfall informiert und um Stellungnahme gebeten. Meist ohne Erfolg: Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) darf nach eigenen Angaben aufgrund seiner gesetzlichen Aufgabenzuweisung – Prüfung von Lebensmitteln, Stoffen, chemischen Substanzen und verbrauchernahen Produkten – keine individuellen Beratungen vornehmen. Im Übrigen liege die Zuständigkeit beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Das BfArM prüft laut der Antwort an Kreiss aber nur die von Herstellern vorgelegten Unterlagen hinsichtlich der Belege der Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutischen Qualität – und erteilt je nach Ergebnis die Zulassung. „Für den Verkehr mit Arzneimitteln, und hierzu gehört auch die Einhaltung von Lagerungsbedingungen beim Transport, sind in Deutschland die Bundesländer zuständig“, so das BfArM.

Immerhin die niederländische Aufsichtsbehörde von DocMorris zeigte sich interessiert: Hinweise wie der von Kreiss seien eine wichtige Informationsquelle, um die Qualität der Versorgung zu überwachen. Die Behörde dankte dem Apotheker für seine erhebliche Mühe und teilte ihm die Vorgangsnummer mit, unter der das Ganze nun intern laufe. Sollte eine Ermittlung in dem Fall eingeleitet werden, würde Kreiss informiert. Bislang hat er nichts Neues gehört.

Von der Politik hierzulande war nicht viel Konkretes zu erfahren: Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) verwies darauf, dass die Kollegen vom Gesundheitsressort in diesem Fall zuständig seien und dass die Reaktionen der zuständigen Stellen und Aufsichtsbehörden abzuwarten seien. Immerhin erklärte das Team Bürgerdialog: „Unabhängig davon steht auch für das BMWi außer Frage, dass die gesetzlichen Vorschriften zu Lagerung und Transport von Arzneimitteln einzuhalten sind: Damit kann eine hohe Qualität der Arzneimittelversorgung sichergestellt werden.“ Vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat er noch keine Antwort erhalten.

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) bat bislang nur um etwas Beratungszeit, um die Anfrage zufriedenstellend zu beantworten. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) war leider der falsche Ansprechpartner. „Für die Erstellung von Qualitätsstandards oder weitere Regelungen für Versandapotheken ist der G-BA nicht zuständig; dies liegt außerhalb unserer Regelungskompetenz.“

Und die Verbraucherzentrale ließ Kreiss geradezu auflaufen: Bereits nach seiner Schilderung könnten Zweifel entstehen, ob hier „tatsächlich einen natürliche Person im eigenen Interesse“ gehandelt habe. Es sei „nicht unbedingt naheliegend, als Apotheker einer niedergelassenen Apotheke apothekenpflichtige Produkte in größerem Ausmaß in einer Versandhandelsapotheke zu bestellen – und diese sofort nach Erhalt unter genau definierten Bedingungen in ein Analyselabor zu verbringen“. Es obliege nicht der Verbraucherzentrale, Gesetzesverstöße zu überwachen, wenn dies bereits durch zuständige Stellen erfolge.

Die ABDA hatte Kreiss zunächst gebeten, sich doch bitte an die für ihn zuständige Landesapothekerkammer zu wenden, was er ohnehin schon getan hatte. Schließlich erhielt er doch noch eine Antwort aus der ABDA-Abteilung für Medizinprodukte und Datenschutz. Demnach dürfen Versandapotheken heute von Gesetzes wegen selbst entscheiden, „welche Maßnahmen sie für eine ordnungsgemäße Versendung von Arzneimitteln konkret als geeignet ansehen“. Die GDP gelte aus juristischer Sicht allein und unmittelbar nur für den Großhandel, „auch wenn eine Ausweitung auf den Versandhandel als wünschenswert angesehen werden kann“. Im künftigen Diskurs werde man auf Kreiss‘ Ergebnisse hinweisen.

Im August hatte Kreiss einen weiteren umfangreicheren Test durchgeführt. Er bestellte potenziell temperaturlabile Arzneimittel bei sechs verschiedenen Versandapotheken. Das Päckchen von Vitalasana kam Kreiss zufolge dermaßen beschädigt an, dass man durch den Riss in der Pappe das enthaltene Medikament sehen konnte. Bei Aponeo fehlte jeder Hinweis, dass das enthaltene Präparat besonderen Lagerbedingungen unterliegen sollte.

Bei der Deutschen Internetapotheke klebte immerhin ein roter Warnhinweis auf dem Paket, dass es sich um „Kühlware“ handele. Mycare gab zusätzlich eine konkrete Empfehlung, das Päckchen zwischen 2 und 8 °C zu lagern sei. Doch DHL lieferte jeweils im normalen Fahrzeug und die Päckchen lagen tagelang in der ebenfalls nicht klimatisierten Postfiliale. Einzig Medpex habe den Service „ThermoMed“ des Logistikers Trans-o-flex benutzt. Das gelieferte Päckchen führte zudem den Hinweis, dass die Ware sofort in den Kühlschrank verbracht werden solle.

Bei den anderen Versendern zahlte Kreiss zunächst nicht. Als er eine Mahnung erhielt, schilderte er den Versendern die aus seiner Sicht unzureichenden Transportbedingungen. Daraufhin seien ihm in einem Fall die Kosten erlassen worden. Die anderen Versender bleiben hart, DocMorris schaltete wegen der Döderlein-Kapseln ein Inkassobüro ein. Da Kreiss keine Lust hat, sich mit der Zur-Rose-Tochter vor Gericht zu streiten, hat er die Rechnung schließlich bezahlt.

Kreiss hat Pharmazie in Freiburg und Kiel studiert und arbeitet heute als angestellter Apotheker. Aktuell fertigt er seine Dissertation am Institut für Geschichte der Pharmazie in Marburg. Kreiss ist Mitglied Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DphG), der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP) und des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (DNEbM).

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