Johanniskraut gehört zu den Klassikern bei Apothekentests. Wer bei Frauen im gebärfähigen Alter mit entsprechendem Präparatewunsch nicht hektisch wird, reißt den gesamten Berufsstand in den medialen Abgrund. Im Mass Market wird eine fachkundige Beratung gar nicht erst gefordert – stattdessen wird jetzt auch auf Warnhinweise in der Packungsbeilage verzichtet.
Ende der 1990er Jahre wurden im Zusammenhang mit der Einnahme von Johanniskraut unerwünschte Wirkungen und Interaktionen im größeren Umfang bekannt. Im März 2000 leitete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Stufenplanverfahren ein.
Noch vor dessen Abschluss wurde der Extrakt im April 2003 der Apothekenpflicht unterstellt. Man konnte ja nicht wissen. Verschont blieben damals Präparate mit weniger als ein Gramm Droge. Was so gering dosiert ist, kann ja eigentlich nicht schädlich sein, so die Logik. Dass ohne Nebenwirkung wohl auch keine klinisch relevante Wirkung zu erwarten ist, spielte keine Rolle. Das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) sprach später in anderem Zusammenhang von „Ramschextrakten“ bei Lidl und Aldi.
Das BfArM scherte sich zunächst nicht weiter um Vertriebsaspekte: Alle Produkte mit mehr als 0,2 Gramm Droge sollten gemäß Bescheid aus dem Jahr 2005 neue Warnhinweise bekommen – unabhängig davon, ob sie nur in der Apotheke oder auch bei Rossmann, Schlecker und dm oder sogar bei Lidl, Aldi und Edeka erhältlich waren. Bei den Einschränkungen ging es nicht mehr nur um Spezialpräparate wie Zytostatika oder Immunsuppressiva, sondern um verbreitete Gruppen wie Kontrazeptiva und Gerinnungshemmer.
Verständlich, dass die Hersteller der freiverkäuflichen Varianten auf die Barrikaden gingen. Wer will schon einer Verkäuferin mit oder sogar ohne Sachkundenachweis zumuten, sich in die Tiefen der CYP-Problematik einzulesen? Das BfArM akzeptierte die vorgelegten Daten: Bei Präparaten mit einem Hypericum-Gehalt unter ein Gramm Droge seien keine relevaten Wechselwirkungen nachweisbar, heißt es im überarbeiteten Bescheid.
Ab Ende 2016 könnte es also eine apothekenpflichtige und eine freiverkäufliche Variante geben, zusätzlich zur verschreibungspflichtigen Version zur Behandlung mittelschwerer Depressionen. Der Wirkstoff ist überall derselbe – doch die Produkte von Abtei & Co. werden dann keine solchen Warnhinweise tragen wie die Apothekenprodukte. „In Einzelfällen sei eine Wirkungsabschwächung anderer Arzneimittel beobachtet worden“, heißt es derzeit lapidar in der Packungsbeilage der freiverkäuflichen Präparate. Wer Gerinnungshemmer, Ciclosporin oder die „Pille“ einnehme, solle seinen Arzt fragen.
Logisch ist diese Differenzierung nicht: Gerade dort, wo grundsätzlich nicht mit einer Beratung zu rechnen ist, wird auf Risikohinweise verzichtet. Dabei könnten gerade solche Patienten, die wissen, dass es mit den Drogeriemarken in Sachen Wirkstoffkonzentration nicht allzu weit her ist, mehrere Tabletten einnehmen und damit die vorgeschriebene Sicherheitsgrenze überschreiten. All das zeigt: Arzneimittelsicherheit fängt mit der Apothekenpflicht an.
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