Seit Tetrazepam aus den Apotheken verschwunden ist, haben andere Muskelrelaxantien Hochkonjunktur. Umso erbitterter wird um jedes Prozent Marktanteil gerungen: Es geht um nicht weniger als den neuen Therapiestandard. Jetzt konnte Recordati den Konkurrenten Dr. Kade vorerst stoppen.
Recordati hat Ortoton auf dem Markt; das Präparat mit dem Wirkstoff Methocarbamol wurde 2008 von den Bastian-Werken gekauft. Als Alternative für Tetrazepam wurde das Produkt schon 2013 fast doppelt so häufig abgegeben wie im Vorjahr: Der Umsatz stieg um 84 Prozent auf 12 Millionen Euro; in diesem Jahr dürfte sich die Entwicklung fortgesetzt haben. Mit erwarteten Erlösen von knapp 20 Millionen hat Ortoton vermutlich Claversal als wichtigstes Produkt des Herstellers aus Ulm bereits abgelöst.
Auch DoloVisano von Dr. Kade enthält Methocarbamol. Bis 2008 wurde das Produkt mit dem Wirkstoff Mephenesin vertrieben, einem klassischen Muskelrelaxans mit Gefahr von Abhängigkeit und Überdosierung. Im Juni 2010 erhielt der Berliner Hersteller vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Zulassung für die Variante mit dem neuen Wirkstoff.
Offenbar zu Unrecht, wie das BfArM schon im Sommer entschied. Kade klagte gegen den Bescheid vor dem Verwaltungsgericht Köln, Recordati pochte auf Sofortvollzug. In der vergangenen Woche entschieden die Richter im Eilverfahren, dass die seinerzeit erteilte Zulassung ab sofort nicht mehr genutzt werden darf – zumindest bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.
Laut Recordati hatte sich Dr. Kade im Zulassungsantrag auf Unterlagen bezogen, die seinerzeit noch geschützt waren. Ohne Zulassung sei DoloVisano nicht mehr verkehrsfähig und dürfe daher bis zur endgültigen Klärung auch in den Apotheken nicht mehr abgegeben werden.
Dr. Kade hat einem Sprecher zufolge bereits Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt und hofft, den Vertrieb bald wieder aufnehmen zu können. Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit hätten zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion gestanden.
Mit Ortoton werden laut IMS Health im Jahr 16,8 Millionen Euro umgesetzt. Insgesamt werden knapp 860.000 Packungen abgegeben. DoloVisano wurde demnach zwischen Dezember 2013 bis November 2014 insgesamt 340.000 Mal abgegeben und brachte Dr. Kade einen Umsatz von 6,5 Millionen Euro.
Methocarbamol ist zugelassen zur symptomatischen Behandlung schmerzhafter Muskelverspannungen, insbesondere des unteren Rückenbereichs (Lumbago). Kein anderer Wirkstoff weist ein derart breites Spektrum auf.
In den vergangenen Jahren war die Nutzung von Muskelrelaxantien erheblich eingeschränkt worden: Tolperison darf nur noch zur symptomatischen Behandlung von Spastizität nach einem Schlaganfall bei Erwachsenen eingesetzt werden. Neben dem Original Mydocalm von Strathmann (150.000 Packungen, 1,3 Millionen Euro Umsatz) sind Generika von Aliud (4,7 Millionen Euro für 305.000 Packungen), Hexal (490.000 Euro für 55.000 Packungen), Mylan dura (1,1 Millionen Euro für 40.000 Packungen), Stada (790.000 Euro für 43.000 Packungen) und Orion (800.000 Euro für 14.000 Packungen) auf dem Markt.
Bei Flupirtin wurde im vergangenen Jahr die Anwendungsdauer wegen möglicher Leberschäden auf 14 Tage eingeschränkt. In der Folge hatten das Originalprodukt Katadolon von Teva und das Lizenzprodukt Trancopal von Dr. Kade ihre Umsätze von damals rund 43 beziehungsweise 9 Millionen Euro eingebüßt und liegen heute bei rund 17 beziehungsweise 6 Millionen Euro. Mit Flupigil gibt es außerdem eine Variante von Meda, die dem Hersteller einen Umsatz von 900.000 Euro und einen Absatz von 42.000 Packungen brachte. Von untergeordneter Bedeutung sind Norflex (Orphenadrin, Meda), Sirdalud (Tizanidin, Novartis) und Myoson (Pridinol, Strathmann).
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