Arzneimittelmissbrauch

Pregabalin: Missbrauch steigt

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Berlin -

Arzneistoff mit „Kick“: Drogenkonsumenten haben das Potenzial von Pregabalin entdeckt. In den letzten Jahren hat der Missbrauch des generischen Wirkstoffs zugenommen. Daten liefert das Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM).

Als Lyrica (Pregabalin, Pfizer) 2005 in Deutschland auf den Markt kam, stuften Pharmakologen das Abhängigkeitspotential als gering ein. Im Laufe der Zeit sollte diese Einschätzung sich jedoch als falsch erweisen. Suchtpatienten entdeckten den „Kick“ bei Überdosierung vor allem in Kombination mit Alkohol oder Methadon. Statt der maximalen Tagesdosis von 600 mg werden bis zu 7500 mg konsumiert. Die Missbrauchsfälle und Giftnotrufe nahmen in den vergangenen Jahren rasant zu.

Dr. Nicolas Zellner, Abteilung klinische Toxikologie und Giftnotruf München, hat mit weiteren Kollegen Missbrauchsfälle zwischen den Jahren 2008 und 2015 untersucht. Die Ergebnisse aus klinikinternen Datenabfragen wurden in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ (DMW) veröffentlicht.

Im Untersuchungszeitraum wurden 263 Patienten im TUM an den Folgen eines Pregabalin-Missbrauches behandelt. Stieg die Anzahl des illegalen Konsums in den Jahren 2008 bis 2011 lediglich von null auf fünf Patienten an, waren es im Jahr 2015 bereits 105 Missbrauchsfälle. Nicht nur Überdosierungen, sondern auch Patienten, die zum Entzug aufgenommen wurden, sind berücksichtigt. Im Jahr 2015 konnten 90 Suizidversuche auf Pregabalin zurückgeführt werden.

„Pregabalin ist nach Opiaten, Benzodiazepinen, Cannabis und Alkohol zur fünfthäufigsten missbrauchten Substanz aufgestiegen“, so der Mediziner. Die Daten aus dem Giftnotruf bestätigen die Aussage. Wurde 2008 lediglich drei Anrufe registriert, waren es 2015 bereits 71. Bereits vor drei Jahren war die Landesärztekammer Baden-Württemberg zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.

Der Missbrauch nimmt kontinuierlich zu und stellt ein bedeutendes gesundheitliches Risiko dar. Fehlt der Nachschub, treten Entzugserscheinungen wie Unruhe, Zittern, Übelkeit, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen auf. Die Vergiftungen verlaufen mittelschwer bis schwer. Woher die Ware kommt, ist nicht genau bekannt. Zum einen ist das Medikament auf dem Schwarzmarkt zu finden, zum anderen werden Verordnungen erschlichen.

Auffällig sei außerdem, dass in einem Großteil der dokumentierten Fälle auch andere Drogen konsumiert wurden. Bei zwei Drittel der Konsumenten konnten vier oder mehr Substanzen im Blut nachgewiesen werden. Ein Mischkonsum kann zu schwerwiegenden Intoxikationen führen. Ohnehin sind laut Studie Patienten, die bereits an einer Suchterkrankung leiden, besonders anfällig für den Pregabalin-Missbrauch. Typische Symptome eines Missbrauchs können Atemnot, Unruhe, Halluzinationen, Aggressionen oder epileptische Anfälle sein.

Viele der Konsumenten befanden sich in einer Substitutionstherapie. Im üblichen regelmäßigen Drogenscreening, dem die Betroffenen in der Drogenersatztherapie unterzogen werden, wird Pregabalin nicht erfasst. Bezogen auf das Jahr 2013 mit einem Anstieg der Missbrauchsfälle um 300 Prozent im Vergleich zum Vorjahr waren neun von 17 Konsumenten opioidabhängig und 12 von 17 männlich. Eine Pilotstudie aus dem Jahr 2013, die von Phar-Mon dokumentiert wurde, untersuchte 900 junge Partygänger. Die Teilnehmer wurden zu ihrem Drogenkonsum befragt – 17 gaben an, Pregabalin missbräuchlich zu verwenden.

„München ist nicht die einzige Stadt und Deutschland nicht das einzige Land mit einem Pregabalin-Problem“, so Zellner. Der Mediziner ist sich sicher, dass es regionale Unterschiede gibt. Neben Deutschland meldet auch Schweden gestiegene Missbrauchszahlen.

Pregabalin ist ein Analogon der Gamma-Aminobuttersäure (GABA). Der Arzneistoff bindet an eine Untereinheit spannungsabhängiger Calciumkanäle im zentralen Nervensystem, die an der Freisetzung verschiedener Neurotransmitter beteiligt sind. Zugelassen ist Pregabalin zur Behandlung neuropathischer Schmerzen, Epilepsie und generalisierten Angststörungen.

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