Interview Produktionsprobleme

Boehringer: „Kein gesamthaftes Qualitätsproblem“

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Berlin -

Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim steht wegen Qualitätsmängeln und Lieferproblemen unter Beschuss. In den USA geriet der auf sterile Arzneiformen spezialisierte Lohnhersteller Ben Venue wegen skandalöser Zustände in die Schlagzeilen; jetzt gibt der Mutterkonzern die Fabrik auf. Am Standort Ingelheim gab es im Mai Beanstandungen wegen „signifikanter Verstöße“ bei der Guten Herstellungspraxis (GMP): Nachdem Fremdpartikel in Wirkstoffchargen gefunden wurden, waren Atemwegsmedikamente vorübergehend nicht lieferbar. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt Dr. Gerhard Köller, Bereichsleiter Qualität bei Boehringer, wie groß die Probleme sind und wie der Konzern die Krise bewältigen will.

ADHOC: Ben Venue gehört seit vielen Jahren zu Boehringer Ingelheim. Wieso haben Sie eine Firma in solch desolatem Zustand gekauft?
KÖLLER: Boehringer Ingelheim hat Ben Venue Laboratories 1997 übernommen, um das Produktportfolio mit sterilen Injektabilia zu ergänzen. Die Produktion bei Ben Venue entsprach der damaligen „aktuellen guten Herstellungspraxis“ („current Good Manufacturing Practice (cGMP)“).

ADHOC: Undichtes Dach, Urinbehältnisse in der Produktion, Metallpartikel in Infusionslösungen, Sterilitätsprobleme: Wie kann es bei einem seriösen Pharmaunternehmen im 21. Jahrhundert zu solchen Mängeln kommen?
KÖLLER: Nachdem Ben Venue einen Warning Letter der FDA erhalten hatte, wurden massive Veränderungen an den Gebäuden und der technischen Ausrüstung vorgenommen mit einem Investitionsaufwand von mehr als 350 Millionen US-Dollar. Zwar werden bis zum jetzigen Zeitpunkt laufend Zwischenkontrollen zur Sicherung der Produktqualität durchgeführt, langfristig können diese jedoch nicht aufrecht erhalten werden.

ADHOC: Seit mehr als zehn Jahren gab es 40 Rückrufe und zahlreiche Warnungen. Wieso sind die Probleme nicht eher angegangen worden?
KÖLLER: Rückrufe kommen in der pharmazeutischen Produktion immer wieder vor und sind im besten Interesse von Patienten. Ben Venue hat dabei stets alle Vorgaben eingehalten und sich mit den Behörden in USA und Europa eng abgestimmt.
Trotz der kontinuierlichen Unterstützung durch die FDA, des großen Einsatzes der Mitarbeiter und der bisher schon beträchtlichen Investitionen in die Anlagen kann das Unternehmen den Betrieb nicht nachhaltig aufrecht erhalten.
Nach einer erneuten internen Evaluation und Beratung mit externen Fachleute im Bereich cGMP ergab sich nun ein weiterer Investitionsbedarf von über 700 Millionen US-Dollar für die nächsten fünf Jahre. Hinzu kam die veränderte Marktsituation in den USA: Der Wettbewerb auf den von Ben Venue bisher besetzten Marksegmenten hat sich dort massiv verschärft.

ADHOC: Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, eine gesundheitliche Gefährdung der auf sterile Arzneimittel angewiesenen und damit oft besonders anfälligen Patienten in Kauf genommen zu haben?
KÖLLER: Boehringer Ingelheim und den Tochtergesellschaften ist die Patienten- und Produktsicherheit in allen Anlagen des Unternehmens sehr wichtig. Die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Pharmazeutika ist das Herzstück all unserer Tätigkeiten.

ADHOC: Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, durch Verschleppung und Verschleierung bei der Aufklärung Lieferengpässe essentieller Arzneimittel provoziert zu haben?
KÖLLER: Während andere Hersteller ihre Produktion geschlossen haben, um Probleme mit der Herstellung zu vermeiden, hat sich Ben Venue der Verantwortung gestellt und bei laufendem Betrieb versucht, die Anlagen umzurüsten, um Lieferengpässe weitestgehend zu vermeiden und damit Patienten zu helfen.
Die Entscheidung, Ben Venue zu schließen, fiel dem Management sehr schwer und musste getroffen werden vor dem Hintergrund der Verpflichtungen gegenüber Patienten, Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden. Zwischenzeitlich wurden für die meisten wichtigen Medikamente alternative Lieferanten gefunden.

ADHOC: Die FDA hat mittlerweile auch die Produktion in Ingelheim gerügt. Was sind die Hintergründe?
KÖLLER: Am 6. Mai hat Boehringer Ingelheim einen „Warning Letter” erhalten. Darin geht es um Probleme bei Entscheidungsprozessen rund um cGMP in der Produktion, die die FDA im November 2012 bei einer Inspektion in Ingelheim festgestellt hatte.
Boehringer Ingelheim nimmt die Angelegenheit sehr ernst und arbeitet eng mit der FDA bei der Erstellung und Abarbeitung eines umfassenden Maßnahmenplans zusammen, der auf alle Anliegen der Behörde eingeht. Wir werden die Kritikpunkte abstellen und damit die Anforderungen der FDA umsetzen. Wir bauen dabei auf unsere Erfahrung aus 22 erfolgreich bestandenen Inspektionen, die unterschiedliche Behörden aus der ganzen Welt in den vergangenen fünf Jahren in unserer Produktionsanlage in Ingelheim durchgeführt haben.
Wir sind im ständigen Austausch mit der FDA auf der Basis unseres Maßnahmenplans und haben ermutigende Signale erhalten. Inzwischen bereiten wir uns auf eine weitere Inspektion durch die FDA vor, die aber nicht vor Beginn des neuen Jahres zu erwarten ist.

ADHOC: Rechnen Sie mit weiteren Mängelrügen an anderen Standorten?
KÖLLER: Die FDA hat in den vergangenen zwölf Monaten mehrere Inspektionen an anderen Boehringer Ingelheim-Standorten in USA (Fremont, Petersburg, Columbus), Mexiko, Deutschland (Biberach), Italien und Österreich durchgeführt. In allen Fällen wurden diese Inspektionen ohne größere Kritikpunkte absolviert. Wir sind also auf einem guten Weg.

ADHOC: Hat Boehringer insgesamt ein Qualitätsproblem?
KÖLLER: Die vielfachen Inspektionen der Boehringer Ingelheim-Standorte durch die Aufsichtsbehörden der jeweiligen Standorte in den vergangenen Monaten ergaben keinen Hinweis auf ein „gesamthaftes Qualitätsproblem“.

ADHOC: Inwiefern steht der Abgang von Produktionsvorstand Professor Dr. Wolfram Carius mit den Mängeln in Zusammenhang?
KÖLLER: Professor Carius hat Boehringer Ingelheim zum 1. Juni verlassen. Dies kommentieren wir nicht weiter.

ADHOC: Wie wollen Sie Ihr Image als seriöses Pharmaunternehmen wieder herstellen?
KÖLLER: Qualität und Sicherheit der Produkte haben für Boehringer Ingelheim oberste Priorität. Wir werden noch stärker als zuvor in nachhaltige Qualitätstandards, -prozesse und -systeme investieren. Am Standort Ingelheim haben wir bereits 100 neue Mitarbeiter in Produktion und Qualitätssicherung eingestellt und werden weitere, mindestens 100 Mitarbeiter, dorthin versetzen oder neu einstellen.

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