Valsartan-Verunreinigung

„Man kann die Angst fast körperlich spüren“

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Berlin -

Angst und Wut auf das System: Für viele Patienten, die Valsartan nehmen, hat sich der erste Schock gelegt. Doch die Unsicherheit bleibt. Entsprechend hoch ist nun der Informationsbedarf. Deshalb wollte der Pharmakologe Professor Dr. Fritz Sörgel vom Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Nürnberg Abhilfe schaffen. Er bot den Betroffenen am Montagabend die Gelegenheit, sich mit ihren Fragen an Experten zu wenden – und konnte ihnen dabei auf den Zahn fühlen.

„Wenn man da in einem Raum ist mit 200 Leuten, von denen bestimmt 180 direkt betroffen sind, dann kann man deren Angst fast körperlich spüren“, sagt Sörgel über den gestrigen Abend. Die Räumlichkeiten im Klinikum Nürnberg waren voll besetzt, als er dem größtenteils älteren Publikum zusammen mit dem Toxikologen Professor Dr. Ralf Stahlmann von der Berliner Charité, der eigens aus der Hauptstadt angereist war, und dem emeriterten Pharmakologieporfessor Dr. Theo Dingermann gegenübersaß.

Die Betroffenen haben Sörgel tief beeindruckt. „Sie müssen sich vorstellen, dass das Durchschnittsalter über 70 war. Und dann sitzen die Menschen da bei der Hitze mehr als zwei Stunden zusammen, um ihre Fragen vorzutragen“, beschreibt er die Situation. „Das finde ich sensationell und es tut wirklich gut, zu sehen, dass sich die Mühe lohnt. Ich bin sehr zufrieden.“ Sein Ziel sei es gewesen, mit der Veranstaltung etwas Vertrauen zurückzugeben. „Denn das ist komplett verloren gegangen.“

„Jetzt mit dem Valsartan ist die Welt eine andere“, habe eine ältere Dame nach der Veranstaltung zu ihm gesagt, erzählt Sörgel. „Das hat mich tief beeindruckt, dass sich ein Laie so ausdrückt.“ Geplant war der Abend als regionale Veranstaltung, doch dem Eindruck nach seien auch viele Patienten von weiter her angereist. „Das kam hier in geballter Form und zum Teil auch sehr gut vorgetragen, die Patienten waren sehr gut vorbereitet.“

Natürlich würden deren Sorgen und Fragen auch in den Apotheken angesprochen. „Aber der Apotheker kann ja nicht mit jedem Patienten eine Viertelstunde über das Thema sprechen.“ Und von den offiziellen Stellen komme bisher schlicht zu wenig. Die Patienten fühlten sich deshalb allein gelassen. „Wenn die Verantwortlichen und Behörden auf Internetseiten verweisen, reicht das nicht aus“, klagt Sörgel an. „Es ist nicht in Ordnung, dass das Thema so unter den Teppich gekehrt wird.“ Deshalb sei es umso wichtiger, dass Experten wie er den Betroffenen zur Seite stehen, „auch wenn die entscheidende Frage natürlich nicht beantwortet werden konnte: Was bedeutet es für den Einzelnen?“

Mehr Antworten konnten die Arzneimittelexperten auf die Fragen zu den Ursachen für den Skandal im Gesundheitssystem geben. Denn neben persönlicher Angst und Verunsicherung habe vor allem Wut auf das System geherrscht. Einfach waren allerdings auch diese Antworten nicht. „Das Rabattsystem ist nun mal leider sehr effizient. Es hat die Arzneimittelpreise, wie vom Gesetzgeber gewünscht, spürbar gesenkt.“ Sörgel selbst hat jedoch eine Idee, wie man derartige Krisen in Zukunft verhindern – oder zumindest unwahrscheinlicher machen – kann: Er schlägt einen „Sicherheitscent“ pro Tablette vor. Damit könne man die Kontrollen stärken und ein zentrales Sicherheitssystem aufbauen, denn mit den bisherigen Methoden sei die Verunreinigung nur schwer aufzufinden gewesen. „Der Betrag wäre nicht riesig, aber er würde ausreichen, um ein System aufzubauen, bei dem Experten im ganzen Land verbunden sind.“

Auch wer ihn aufbringen müsste, ist für Sorgel klar: „Auf keinen Fall die Patienten, das wäre ein Unding. Die Krankenkassen müssten das bezahlen, denn sie sind ja die Nutznießer des jetzigen Systems.“ Die Kassen seien auch in der Pflicht, wenn es nun um die Nachsorge geht. Denn da müssten Sörgel zufolge für Betroffenen Angebote wie zusätzliche ärztliche Beratung und Untersuchungen geschaffen werden. „Man kann ja nicht hunderte Millionen im Jahr verdienen und dann, wenn das Kind mit dem Bade ausgeschüttet ist, sagen, dass man nicht zuständig sei“, appelliert er an die Adresse der Kassen.

Dass die Produktion aus Ländern wie China und Indien wieder nach Deutschland verlagert wird, hält er für illusorisch. „Globalisierung bedeutet eben auch Arbeitsteilung“, so Sörgel. Deshalb müsse man hier Strukturen schaffen, die den Gegebenheiten entsprechen.

Was die Betroffenen befürchten, hoffen und erwarten, wollten Sörgel und seine beiden Kollegen allerdings auch evaluieren. Dazu haben sie einen Fragebogen angefertigt, in dem beispielsweise gefragt wird, was die Patienten zusätzlich zu zahlen bereit wären, wenn sie dafür wüssten, dass ihr verschriebenes Medikament wirklich in Deutschland gefertigt wird. Die Anwesenden erhielten den Bogen in einem bereits frankierten Umschlag. Sie können ihn zuhause ausfüllen und dann zurücksenden. Allein auf diese Weise gefragt zu werden, habe für viele schon große Bedeutung.

„Man muss den Menschen aber auch klar machen, dass sie ein Recht haben, Angst zu haben. Denn die Patienten sind hilflos. Wer hilft ihnen denn?“ Seine Veranstaltung begreift er deshalb als ersten Schritt. „Man kann jetzt eigentlich kaum anders als zu sagen: ‚Da müssen wir weitermachen!‘“ Es sei jetzt ein Modell geschaffen, das man auch in anderen Städten 1:1 umsetzen könnte. „Und jeder, der so etwas machen möchte, weiß jetzt: Das wird kein Flop.“

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