Interview Prof. Dr. Daniel Grandt (AkdÄ)

„Die Einschätzung des Einzelnen ist nicht entscheidend“

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Berlin -

Der Widerruf der Zulassung für bestimmte MCP-Tropfen erscheint vielen Apothekern als übervorsichtig. Doch Professor Dr. Daniel Grandt, Vorstandsmitglied bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, lobt die europäischen Kontrollverfahren. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC sprach der Internist über verkannte Nebenwirkungen, persönliche Wahrnehmung und Alternativen für den Einsatz von MCP.

ADHOC: Wieso kommt es nach so langer Zeit zu dem Rückruf?
GRANDT: Es kommt immer wieder vor, dass nach der Zulassung neue Nebenwirkungen entdeckt werden, die zu einer Einschränkung der Zulassung führen. Aber selbst wenn keine neue Nebenwirkungen auftreten, können sich Häufigkeit und Schwere der bekannten mit der Zeit anders darstellen.

ADHOC: Wieso sind die deutschen Behörden dann bislang nicht aktiv geworden?
GRANDT: Es gibt auf europäischer Ebene ein strukturiertes Verfahren für eine Risiko-Nutzen-Abwägung. Der Vorteil ist, dass Erfahrungen aus verschiedenen Ländern zusammengetragen werden. Die Datenlage und auch die Bewertung sind national oft sehr unterschiedlich. Nehmen Sie Metamizol. Der Wirkstoff ist aufgrund des Agranulozytoserisikos in den USA, mehreren europäischen Ländern oder Japan überhaupt nicht oder nicht mehr auf dem Markt. In Deutschland wird Metamizol hingegen deutlich häufiger verordnet, als es die Einschränkungen, die es auch hierzulande gibt, erwarten lassen würden.

ADHOC: War der MCP-Rückruf notwendig?
GRANDT: Auch wenn MCP oft verordnet wird und viele das Arzneimittel aus eigener Anwendung kennen, ist die Einschätzung des Einzelnen nicht entscheidend. Das ist wie mit der Anschnallpflicht im Auto: Sie können auch jahrelang unangeschnallt fahren, ohne dass etwas passiert. Dann spiegelt ihre persönliche Wahrnehmung aber nicht das objektive Risiko wider und das führt zu einer inadäquaten Verhaltensweise. Eine Bewertung des Rückrufes setzt eine Analyse der Daten voraus, die der EMA vorliegen.

ADHOC: Wird der Wegfall von MCP eine Lücke in der Versorgung reißen?
GRANDT: Natürlich wird er das, schon angesichts der Verordnungszahlen. Aber das bedeutet nicht, dass die Lücke nicht geschlossen werden kann. MCP hat keine dauerhafte Wirksamkeit und die Akutwirkung lässt relativ schnell nach. Eine Dauertherapie über mehrere Wochen hinweg, wie wir sie heute beobachten, ist mit diesem Medikament ohnehin nicht sinnvoll.

ADHOC: Trotzdem wird sich der Markt quasi über Nacht verändern.
GRANDT: Das ist ohne Frage eine Herausforderung für Ärzte, Apotheker und Patienten. Aber das ist kein Grund, die Risikobewertung generell infrage zu stellen. Wir müssen froh sein, dass es ein Pharmakovigilanzverfahren auf europäischer Ebene gibt und dass auch etablierte Wirkstoffe immer wieder hinterfragt werden. Gäbe es solche Verfahren nicht, wir hätten immer noch Vioxx auf dem Markt und tausende Patienten würden an vermeidbaren Herzinfarkten sterben.

ADHOC: Gibt es Alternativen für MCP?
GRANDT: Natürlich gibt es Alternativen. Je nachdem ob MCP zum Beispiel zur Behandlung von Übelkeit oder von Motilitätsstörungen des oberen Gastrointestinaltraktes eingesetzt wurde, werden dies unterschiedliche Wirkstoffe sein. Bei Patienten die MCP doch länger als vorgesehen erhalten wird aber man häufig feststellen, dass gar keine medikamentöse Therapie mehr erforderlich ist. Aber einen standardisierten Ersatz gibt es aktuell nicht.

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