Schöllkraut

Iberogast: Bayer geht aufs Ganze

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Berlin -

Iberogast soll kein zweites Umckaloabo werden. In der Schweiz bekommen die Schöllkraut-haltigen Tropfen einen Warnhinweis. Für Deutschland bleibe das Nutzen-Risikoprofil unverändert positiv, findet der Hersteller Bayer. Der Konzern hat zwar vorgesorgt, geht aber aufs Ganze.

Iberogast enthält neben Bitterer Schleifenblume, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmel, Mariendistel, Melisse, Pfefferminze und Süßholz auch Schöllkraut. Die Arzneidroge ist in Deutschland umstritten. Für das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist der Nutzen nicht belegt. Von der Droge gehe gar ein erhebliches gesundheitsschädliches Risiko aufgrund von Leberschäden aus.

Für Arzneimittel mit mehr als 2,5 mg Gesamtalkaloide wurde 2008 die Zulassung widerrufen. Bei Arzneimitteln, deren Tagesdosis zwischen 2,5 µg und 2,5 mg Gesamtalkaloide beträgt, sieht das Stufenplanverfahren einen Warnhinweis in der Packungsbeilage vor: Das Risiko einer Leberschädigung muss erwähnt werden. „Aufgrund der wahrscheinlichen Dosisabhängigkeit der hepatotoxischen Wirkungen ist es erforderlich, dass bei diesen Arzneimitteln adäquat auf die möglichen Risiken und Vorsichtsmaßnahmen hingewiesen wird.“

Auch Iberogast müsste laut Stufenplanbescheid einen Warnhinweis enthalten. Doch der Hersteller sieht keinen Handlungsbedarf: „Der für die Herstellung von Iberogast verwendete Schöllkraut-Extrakt enthält nur sehr geringe Mengen an Alkaloiden“, teilt eine Konzernsprecherin mit. „Die mit der empfohlenen Tages-Dosierung von dreimal täglich 20 Tropfen Iberogast aufgenommene Menge an Schöllkraut-Alkaloiden liegt bei etwa 0,3 mg.“

Eine Änderung der Produktinformation sei „derzeit nicht vorgesehen“. Auch „liegen derzeit keine neuen Faktoren vor, so dass sich die Sach- beziehungsweise Beurteilungslage von Iberogast nicht verändert hat“. Somit bleibt das Nutzen-Risiko-Profil aus Sicht von Bayer unverändert. „Sicherheit und Wirksamkeit von Iberogast wurden in kontrollierten klinischen Studien mit mehr als 55.000 Probanden bestätigt.“

Bayer hat zwar vorgesorgt und eine bereits 2010 erteilte Zulassung für eine Variante ohne Angelikawurzel, Mariendistel und Schöllkraut in der Tasche. Doch derzeit sieht man in Leverkusen keinen Bedarf, das Produkt auszutauschen. Ein Grund könnte gerade die gute Datenlage sein: Wenn die Zusammensetzung geändert würde, wären die Studien wohl weitgehend wertlos.

Bislang sind vier Widersprüche gegen den BfArM-Bescheid nicht abgeschlossen. „Der Stufenplanbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides bildet gegenwärtig den Gegenstand eines Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Köln. Der Bescheid ist folglich noch nicht bestandskräftig“, schreibt das BfArM.

Bayer drückt derweil auf's Gaspedal: Dank massiver TV-Werbung konnten die Abverkäufe von Iberogast nach Zahlen von Insight Health im vergangenen Jahr deutlich gesteigert werden – um 7 Prozent auf 102 Millionen Euro in der Offizin und um 26 Prozent auf 20 Millionen Euro im Versandhandel. Seit dem zwischenzeitlichen Aus für MCP-Tropfen hat sich das pflanzliche Magenmittel, das Bayer mit Steigerwald übernommen hatte, hervorragend entwickelt.

Die von der Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic jetzt vorgeschriebenen Warnhinweise decken sich zum Teil mit denen des BfArM aus 2008. Da es ebenfalls Differenzen zwischen Hersteller und Behörde gab, was Umfang und Formulierung angeht, wird auch hier gestritten. „Gegen diese Verfügung ist ein Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hängig, dessen Ausgang noch offen ist“, teilt ein Sprecher mit. „Gleichzeitig hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen eines Zwischenentscheids aber über die vorläufige Anpassung der Arzneimittelinformation für die Dauer des Gerichtsverfahrens entschieden.“

So sollen Patienten mit Anzeichen einer Leberschädigung wie Gelbfärbung der Haut und Augen, dunklem Urin, Appetitlosigkeit, Schmerzen im Oberbauch oder Anstieg von Bilirubin und Transaminasen die Arzeimitteleinnahme beenden und einen Arzt konsultieren. Schwangere und Stillende sollten entsprechende Arzneimittel nicht anwenden – ebenso Patienten mit bestehenden Lebererkrankungen und diejenigen, die bereits Arzneimittel mit leberschädigender Wirkung einnehmen. Werden die Arzneimittel über einen Zeitraum von mehr als vier Wochen angewendet, sollen die Leberfunktionswerte kontrolliert werden.

Würden die Warnhinweise durchgesetzt, könnte Bayer für Iberogast ein Desaster wie Schwabe mit Umckaloabo drohen. Genügten bei dem Pelargonien-haltigen Präparat 30 Spontanmeldungen zu möglichen Leberschäden, um das Arzneimittel in die Krise zu schicken, sind zu Schöllkrautkraut-haltigen Arzneimitteln* 48 Fälle hepatotoxischer Reaktionen dokumentiert. Der Umckalobao-Hersteller Dr. Schwabe war offensiv mit dem Thema umgegangen und musste bis 2015 kämpfen, um seinem Produkt wieder zu einer Kehrtwende zu verhelfen, seitdem entwickelt sich das Produkt – trotz generischer Konkurrenz – positiv.

* In einer früheren Version wurden die 48 Meldungen zu hepatotoxischen Reaktionen fälschlicherweise auf Iberogast bezogen.

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