Medikamente gegen chronische Hepatitis C (HCV) verstärken möglicherweise die Aktivität des Hepatitis-B-Virus (HBV). Mehrere Fälle wurden bekannt, in denen sich bei einer Co-Infektion beider Virustypen der Leberstatus der Patienten unter antiviraler Therapie stark verschlechtert hatte. Ein Patient musste sich einer Lebertransplantation unterziehen. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) startet daher ein Verfahren zur Risikobewertung.
Die EU-Kommission ist Initiator der Prüfung. Auslöser waren fünf entsprechende Fälle aus der Literatur. Demnach wurde bei Co-Infizierten unter Therapie mit den Mitteln gegen Hepatitis C zwar die Viruslast deutlich gesenkt, zugleich war aber deutlich vermehrte Aktivität von HBV aufgetreten. Weitere Vorfälle seien aus der Nebenwirkungs-Datenbank Eudravigilance bekannt geworden, heißt es.
Alle sechs derzeit zugelassenen direkt antiviral wirkenden Medikamente gegen Hepatitis C werden nun überprüft. Betroffen sind demnach Daklinza (Daclatasavir, Bristol-Myers Squibb), Exviera (Dasabuvir, AbbVie), Harvoni (Sofosbuvir/Ledipasvir, Gilead), Olysio (Simeprovir, Janssen-Cilag), Sovaldi (Sofosbuvir, Gilead) und Viekirax (Ombitasvir/Paritaprevir/Ritonavir, AbbVie).
Die Präparate hatten die Behandlung der Hepatitis C praktisch revolutioniert: Vor ihrer Einführung hatten sich Patienten bis zu 18 Monate mit dem Wirkstoff Ribavirin und dem Hormon Interferon behandeln lassen müssen. Vor allem die Nebenwirkungen machten die Behandlung für die Patienten beschwerlich, eine Erfolgsgarantie gab es nicht. Allerdings wirken Interferone sowohl gegen HBV als auch gegen HCV, während die neuen Präparate lediglich die Viruslast von HCV verringern.
Vermutet wird, dass es bei gleichzeitigem Vorliegen beider Virustypen im Körper zu einem Gleichgewicht kommt, bei dem beide Erreger sich gegenseitig auf einem stabilen Level halten. Wird durch antivirale Medikamente HCV stark verringert, könnte HBV sich stärker replizieren und dadurch die schweren Leberentzündungen auslösen. Das würde auch erklären, warum unter einer Interferon-Therapie die Komplikationen nicht auftreten.
Die EMA soll nun genauer untersuchen, wie stark das Ausmaß der Reaktivierung von HBV durch die Medikation gegen HCV tatsächlich ist. Die Schwere der aufgetretenen Fälle mache eine solche Untersuchung dringend erforderlich, so die EU-Kommission. Das gelte insbesondere deshalb, weil ein Zusammenhang als biologisch plausibel erscheint, entsprechende Sicherheitshinweise aber in keiner der Produktinformationen der HCV-Medikamente enthalten seien.
Die Behörde hat nun ein Jahr Zeit, um die Bewertung durchzuführen. Bis dahin würden keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet, so die EMA. Patienten werden aber gebeten, mit ihrem Arzt oder Apotheker zu sprechen, sofern Fragen oder Unsicherheiten bezüglich ihrer Behandlung auftreten. Die Zulassungsinhaber sind aufgefordert, sämtliche Verdachtsfälle von Komplikationen bei Patienten mit gleichzeitiger HBV-Infektion zu melden. Zusätzlich müssen sämtliche klinische Daten erneut ausgewertet werden, um schwere Nebenwirkungen einer möglichen Co-Infektion mit HBV zuzuordnen.
Weltweit sind etwa 160 Millionen Menschen mit Hepatitis C infiziert. Die EU-Kommission schätzt, dass bei etwa 10 bis 15 Prozent eine Co-Infektion mit Hepatitis B vorliegt, welche in der Regel gleichzeitig übertragen wird. Diese Patienten zeigen in der Regel deutlich schwerere Lebererkrankungen.
APOTHEKE ADHOC Debatte