Wie groß ist das potenzielle Krebsrisiko von N-Nitrosdimethylamin? Diese Frage wollen dänische Wissenschaftler anhand einer Kohortenstudie beantworten. Das Ergebnis beruhigt nur wenig. Zwar bestehe kein erhöhtes kurzfristiges Risiko, doch eine abschließende Entwarnung in Bezug auf die Langzeitanwendung kann nicht gegeben werden. Doch wer ist verantwortlich an dem Desaster? Die Hersteller? Die Behörden? Das Institut für Pharmakologische Forschung in Mailand zieht ein Résumé.
In einer landesweiten dänischen Kohortenstudie untersuchte das Team um Anton Pottegård das Krebsrisiko unter Verwendung von mit N-Nitrosdimethylamin (NDMA) verunreinigtem Valsartan. Die Ergebnisse wurden im British Medical Journal (BMJ) veröffentlicht. Dabei wurde auf Daten von vier landesweiten Registern zurückgegriffen – darunter das dänische Krebs- und das Verschreibungsregister. In die Kohortenstudie wurden 5150 Patienten – älter als 40 Jahre und ohne Krebsdiagnose – einbezogen.
Die Studienteilnehmer wurden seit dem 1. Januar 2012 mit Valsartan behandelt beziehungsweise zwischen dem 1. Januar 2012 und dem 30. Juni 2017 auf den Wirkstoff eingestellt. Der Beobachtungszeitraum endete am 30. Juni 2018 beziehungsweise mit dem Tod des Patienten oder einer Krebsdiagnose. Der durchschnittliche Beobachtungszeitraum beträgt 4,6 Jahre.
Laut Wissenschaftler wurden im Beobachtungszeitraum 128 Valsartan-haltige Arzneimittel verabreicht, von denen 18 als verunreinigt eingestuft wurden, da die aktive Substanz vom chinesischen Lohnhersteller Zhejiang Huahai Pharmaceuticals stammt. 36 Präparate wurden als möglicherweise verunreinigt eingestuft und 74 Arzneimittel wurden als nicht kontaminiert bewertet.
Im Ergebnis wurden in der Gruppe, die mit nicht verunreinigtem Valsartan behandelt wurden, 104 Krebserkrankungen dokumentiert. In der NDMA-exponierten Gruppen waren es 198 Krebsdiagnosen. Die Hazard Ratio für das Gesamtkrebsrisiko beträgt 1,09. Eine Dosis-Wirkungs-Beziehung konnten die Wissenschaftler nicht nachweisen. Auffälligkeiten gab es in Bezug auf einzelne Karzinome wie Darmkrebs (HR 1,46) und Uteruskrebs (HR 1,81).
Das Fazit der Wissenschaftler: Die Ergebnisse deuten nicht auf ein deutlich erhöhtes kurzfristiges Gesamtrisiko für eine Krebserkrankung hin. Dennoch bestünden weiterhin Unsicherheiten über das Risiko für einzelne Krebserkrankungen. Es seien weitere Studien über einen längeren Beobachtungszeitraum nötig, um ein langfristiges Risiko ableiten zu können.
Italienische Forscher ziehen in einem Kommentar im BMJ ein Résumé zu Valsartan: „Die Aufsichtsbehörden haben rasch gehandelt, aber die exponierten Patienten benötigen noch eine Langzeitüberwachung“, heißt es aus Mailand. Die nationalen Behörden hätten als erstes die Arzneimittel identifiziert, die mit NDMA verunreinigt zu sein schienen. Allein in Italien wurden mehr als 700 Chargen von 100 Arzneimitteln von 15 Herstellern zurückgerufen. Im zweiten Schritt würden Informationen über die Ursache der Kontamination gesammelt. Inzwischen ist bekannt, dass diese auf eine Umstellung des Herstellungsprozesses im Jahr 2012 zurückzuführen ist.
In diesem Zusammenhang stellen die Forscher die Frage, warum die Anwesenheit der Verunreinigung nicht früher entdeckt wurde. Aus ihrer Sicht wäre das möglich gewesen: „Herstellungsverfahren müssen auf bekannte Verunreinigungen, die ein Risiko bergen, überprüft und überwacht werden – wie bei NDMA, einer anerkannten humanen genotoxischen Verbindung.“ Die Verantwortung liege beim Hersteller selbst, „aber die Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen sind für die Qualität der von ihnen in Verkehr gebrachten Fertigarzneimittel verantwortlich.“
Behörden würden aufgefordert, Produktionsstätten zuzulassen und die Qualität der Arzneimittel mit häufigen und gründlichen Inspektionen zu überwachen und sicherzustellen. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) trage dabei hauptsächlich eine koordinierende und harmonisierende Rolle, die nationalen Behörden trügen die endgültige Verantwortung, so die Experten. Weiter heißt es: „Es muss jedoch beachtet werden, dass die Beziehung zur Industrie hauptsächlich auf Vertrauen basiert.“
Dies gelte auch für klinische Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten, nicht nur für die Qualität. „Irreführende, unvollständige oder verspätete Berichte über klinische Wirksamkeit und Sicherheit können sich sehr viel stärker auf die öffentliche Gesundheit auswirken als die Qualität.“
Im dritten Schritt werde das theoretische Risiko der NDMA-Exposition bewertet und abgeschätzt. Die EMA schätzt ausgehend von 5000 Patienten, die über einen Zeittraum von sieben Jahren täglich mit der höchsten Valsartan-Dosis von 320 mg behandelt werden, dass es einen zusätzlichen Krebsfall geben könne. Die Annahme basiert auf einer nachgewiesenen Verunreinigung von 60 ppm. Die US-Arzneimittelbehörde FDA schätzt einen zusätzlichen Fall auf 8000 Patienten über einen Zeitraum von vier Jahren.
Die dänische Kohorte decke etwa ein Fünftel der Personenjahre ab, die zur Bestätigung der EMA-Schätzung erforderlich wären. „Hätte sich die dänische Studie auf eine größere europäische Bevölkerung ausgedehnt, hätten wir möglicherweise bereits eine schlüssige Antwort. Registerbasierte Kohortenstudien würden oft als unangemessen zur Lösung von Unsicherheiten hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit angesehen, im aktuellen Fall wären diese jedoch der ideale methodische Ansatz, um Sicherheitsbedenken langfristig zu begegnen.“
Das Ergebnis des Pharmakovigilanz-Überweisungsverfahrens, das sich mit Sicherheitsbedenken für in der EU zugelassene Arzneimittel befasst, werde für Ende September erwartet.
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