Unter der Therapie mit RoActemra (Tocilizumab) kann es zu Perforationen des unteren Gastrointestinaltraktes (GIT) kommen. Das geht aus einer Beobachtungsstudie von Patienten mit rheumatoider Arthritis hervor, die im Fachjournal „Annals of the Rheumatic Diseases“ veröffentlicht wurde. Demnach traten die Perforationen häufiger bei Patienten auf, die mit dem Interleukin-6-Hemmer behandelt wurden, als unter Therapie mit anderen Biologika oder synthetischen Wirkstoffen, so genannten Basistherapeutika.
Die Auswertung erfolgte im deutschen Biologika-Register RABBIT, das die Langzeitwirkung und -sicherheit von Biologika bei rheumatoider Arthritis untersucht. „Perforationen des unteren Gastrointestinaltraktes sind sehr seltene Ereignisse“, erklärt die Studienärtzin Dr. Anja Strangfeld aus Berlin. „Insgesamt traten in dem Register nur 37 Darmperforationen bei 13.310 eingeschlossenen Patienten auf.“
Gerechnet auf die Beobachtungszeit kam es unter Tocilizumab zu 2,7, unter allen anderen Therapien zu 0,2 bis 0,6 Perforationen pro 1000 Patientenjahren. In der europäischen Allgemeinbevölkerung geht man dagegen von 0,04 Patienten aus, die in 1000 Jahren eine Perforation erleiden.
„Dies ist ein Sicherheitssignal, das ernst genommen werden muss“, betont Strangfeld. Denn Perforationen von Jejunum, Ileum oder Kolon sind Notfälle, die Letalität liegt in der Allgemeinbevölkerung bei 30 Prozent. Perforiert die Darmwand, gelangt der Darminhalt in die Bauchhöhle und lokale Entzündungen können in eine Entzündung des Bauchfells oder sogar in eine Sepsis übergehen. Patienten zeigen akute Symptome mit Fieber, heftigen abdominellen Schmerzen und einen sich schnell verschlechternden Allgemeinzustand.
Aber: „Patienten, die mit Tocilizumab behandelt wurden, hatten mildere Symptome beim Auftreten der Perforation“, erläutert Strangfeld. Während 90 Prozent der mit einer Basistherapie behandelten Patienten von akutem Abdominalschmerz berichteten, waren es bei solchen unter Tumornekrosefaktor-Blocker (TNF-Blocker) 60 Prozent und bei Tocilizumab-Patienten nur 27 Prozent.
Zudem konnte den Wissenschaftlern zufolge der Entzündungsmarker C-reaktives Protein (CRP) nicht als diagnostisches Kriterium für eine Perforation herangezogen werden. Nur einer der elf Tocilizumab-Patienten zeigte Werte über 100 mg/l, während es bei allen anderen Therapien die Mehrheit der Patienten war.
Unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren zeigten die Wissenschaftler ein 4,5-fach erhöhtes Risiko für eine Therapie mit Tocilizumab. Aber auch die Einnahme von Glukokortikoiden und nicht-steroidalen Antirheumatika – häufig Begleitmedikation bei der rheumatoiden Arthritis – sowie zunehmendes Alter erhöhten das Risiko einer Perforation.
Welcher Mechanismus einem Darmdurchbruch unter Tocilizumab zugrunde liegt, kann bislang nur gemutmaßt werden. Der Interleukin-6-Rezeptor, Angriffspunkt des Antikörpers, scheint auch Funktionen in der intestinalen Barriere zu haben. So wurde bei Morbus Crohn vermehrt das Zytokin Interleukin-6 in solchem Fettgewebe nachgewiesen, das entzündete Stellen im Darmtrakt bedeckt und somit schützend wirkt.
Literatur:
Risk for lower intestinal perforations in patients with rheumatoid arthritis treated with tocilizumab in comparison to treatment with other biologic or conventional synthetic DMARDs
A Strangfeld, A Richter, B Siegmund, P Herzer, K Rockwitz, W Demary, M Aringer, Y Meißner, A Zink, J Listing
Ann Rheum Dis doi:10.1136/annrheumdis-2016-209773
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