Während die Rezeptpflicht für Patienten ab 65 Jahren bei den Triptanen wieder abgeschafft werden soll, empfiehlt der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht eine entsprechende Regelungen für Schlafmittel. Dabei ergab eine eigens angefertigte Analyse des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko, das eine solche Maßnahme rechtfertigen würde.
Bei seiner Sitzung im Juni hatte sich der Sachverständigenausschuss noch mehrheitlich gegen einen generellen Rx-Switch für Antihistaminika der ersten Generation mit sedierender Wirkung ausgesprochen. Stattdessen war das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beauftragt worden, Unterlagen für Diphenhydramin und Doxylamin aufzubereiten. Dabei sollten neben Abverkaufszahlen auch Informationen zu Nebenwirkungsverdachtsfällen zusammentragen, insbesondere zu Fällen assoziiert mit:
Die Ergebnisse präsentierte die Behörde bei der Sitzung des Ausschusses am 23. Januar in Bonn – jener Sitzung, auf der am Ende mehrheitlich eine Empfehlung pro Rx-Switch für Patienten über 65 Jahren beschlossen wurde. Paradox: Die BfArM-Analyse hatte eigentlich eine andere Entscheidung nahe gelegt.
Die typischen Nebenwirkungen sind laut BfArM in erster Linie auf die anticholinergen, aber auch sedierenden Eigenschaften von Diphenhydramin zurückzuführen:
Sedierung; Somnolenz; Schläfrigkeit; Benommenheit und Konzentrationsstörungen während des Folgetages, insbesondere nach unzureichender Schlafdauer; Schwindel; Muskelschwäche; Kopfschmerzen; Sehstörungen; trockener Hals; Mundtrockenheit; Magen-Darm-Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall); Magenschmerzen; Obstipation; Gastro-ösophagealer Reflux; Miktionsstörungen; Asthenie
Laut BfArM gibt es 290 national zugelassene Monoarzneimittel zur oralen Anwendung, davon basieren 284 auf einer der vier Standardzulassungen (Tabletten und Kapseln, jeweils 25 und 50 mg; aktuell in Überarbeitung, Warnhinweis für ältere Patienten vorgesehen). Fünf der nicht auf einer Standardzulassung beruhenden Arzneimittel sind zur Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen mit klinisch bedeutsamem Schweregrad zugelassen, das sechste zur Prophylaxe und symptomatischen Therapie von Übelkeit und Erbrechen, insbesondere von Kinetosen. In den Fachinformationen gibt es Empfehlungen zur Dosisanpassung bei älteren und geschwächten Patienten.
Außerdem gibt es zwei dezentral zugelassene Kombinationspräparate mit 500 mg Paracetamol zur Kurzzeitbehandlung von Schmerzen, die das Einschlafen erschweren. Auch hier gibt es in der Fachinformation einen Hinweis auf mögliche Verwirrtheit bei älteren Patienten.
Das BfArM hat aus den Datenbanken der Hersteller 62 Fallmeldungen zusammengetragen, die sich auf insgesamt 210 Nebenwirkungen beziehen:
Insgesamt liegen laut BfArM drei Fälle vor, bei denen im Vergleich zu den anderen Altersgruppen bestimmte sturzassoziierte Reaktionen bei den älteren Patienten häufiger waren. Beschrieben wurden dabei vor allem psychische Nebenwirkungen. Allerdings erlauben die Informationen in einem Fall keine Beurteilung des Kausalzusammenhangs, in den beiden anderen Fällen handelt es sich um Suizidversuche mit jeweils des 10-Fachen der empfohlenen maximalen Dosierung von 50 mg.
Insgesamt gibt es acht Monopräparate mit Doxylamin, von denen sieben 25 mg und eins 30 mg pro Einzeldosis enthalten. Ein weiteres Präparat ist zur Behandlung von Kindern vorgesehen und damit verschreibungspflichtig. Mit Wick Medinait sind außerdem zwei Kombipräparate mit Doxylamin auf dem Markt, die allerdings zur Behandlung von Erkältungssymptomen zugelassen sind.
Erfasst wurden 46 Fallmeldungen mit insgesamt 243 Nebenwirkungen:
Die Reaktionen „Fall“, „Delirium“ und „Somnolence“ wurden im Vergleich zu den anderen Altersgruppen häufiger gemeldet. Ein Sturz war auf eine anaphylaktische Reaktion zurückzuführen, einer auf insuffiziente Information, einer auf absichtliche Überdosierung (Arzneimittelmissbrauch). Sieben Fälle stehen im Zusammenhang mit Suizidversuchen, wobei ein Patient, der Doxylamin in 100-facher Überdosierung eingenommen hatte, tatsächlich verstarb. Die anderen sechs Patienten erholten sich vollständig bei bis zu 40-facher Überdosierung.
Die sieben untersuchten Studien weisen laut BfArM zahlreiche Limitationen auf, unter anderem wegen unzureichender Datenlage, fehlendem Wirkstoffbezug und widersprüchlichen Ergebnissen.
Das BfArM kommt zu dem Ergebnis, dass die Analyse der Nebenwirkungsmeldungen und veröffentlichten Studien keinen belastbaren Beleg für ein erhöhtes Risiko bei Älteren hinsichtlich der sturzassoziierten Nebenwirkungen gibt.
Ältere Patienten wiesen häufig eine eingeschränkte Nieren- und Leberfunktion auf, was konsekutiv zu unerwünschten anticholinergen wie antihistaminischen Wirkungen führen könne. Nebenwirkungen könnten daher theoretisch Ursache für erhöhte Sturzraten bei älteren Patienten sein – entsprechende Datenbelege fehlten aber. Hinweise, dass bei älteren Patienten eine Dosisanpassung notwendig sein könne, fänden sich zumindest bei Diphenhydramin in den Produktinformationen oder seien geplant.
Die Datenlage wird derzeit als nicht ausreichend bewertet, um die Anwendung von Diphenhydramin und Doxylamin bei älteren Patienten der Verschreibungspflicht zu unterstellen.
Aus Sicht des BfArM sollte die Kommunikation zu der Thematik verstärkt werden – insbesondere die Information und Einbindung der Apotheker scheint wesentlich, damit eine gezielte Aufklärung der (älteren) Patienten bzgl. der Einnahme der sedierenden Antihistaminika der ersten Generation erfolgen kann.
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