Arzneimittelentwicklung

TGN1412: Der fatale Zytokin-Sturm

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Berlin -

Das Drama von Rennes ist nicht der erste Zwischenfall im Zusammenhang mit einer klinischen Untersuchung: Im Jahr 2006 traten in einem englischen Krankenhaus bei sechs Patienten im Rahmen einer Phase-I-Studie lebensgefährliche Immunreaktionen auf. Erst nach dem Vorfall konnte die Ursache aufgeklärt werden. Demnach muss wegen physiologischer Besonderheiten auch nach erfolgreichen Tierversuchen immer mit schweren Nebenwirkungen gerechnet werden. 

Die Würzburger Biotechfirma TeGenero hatte einen Antikörper mit Namen TGN1412 zum Einsatz gegen rheumatische Beschwerden getestet. Die Entwickler hatten entdeckt, dass der Wirkstoff im Gegensatz zu anderen Antikörpern direkt in die Steuerung des Immunsystems eingreift: Die Substanz bindet an das Signalmolekül CD28, welches sich auf T-Zellen befindet. Durch die Aktivierung werden Zytokine freigesetzt, die je nach Art der T-Zelle entweder aktivierende oder dämpfende Effekte auf die Immunantwort hervorrufen.

Nach Laborversuchen war damals für die Forscher klar: Nur die regulierenden T-Zellen, die das Immunsystem dämpfen, werden spezifisch durch TGN1412 gesteuert. Aktivierende Subtypen exprimierten zwar ebenfalls CD28, hier zeigte der Antikörper aber keinen Effekt. Eine überschießende Reaktion des Immunsystems erwarteten die Forscher deshalb nicht.

Die Wissenschaftler untersuchten ihre Hypothese anschließend in Tierversuchen – mit Erfolg. Sowohl an Ratten als auch an Affen entfaltete TGN1412 die gewünscht Wirkung. Da der CD28-Rezeptor der Affen eine hohe Homologie zum Menschen aufweist, wurde mit einem vergleichbaren Effekt im Patienten gerechnet.

Doch die Immunreaktionen in der Phase-I Studie waren fatal. Offenbar reagiert das komplexe Immunsystem des menschlichen Körpers anders als das von Affen. Forscher aus Russland untersuchten anschließend die Mechanismen genauer und entdeckten wichtige Unterschiede.

Nicht der Antikörper hat eine hohe Spezifität zu den regulatorischen T-Zellen, sondern die tierischen Zellen selbst verändern sich mit der Zeit: Laboruntersuchungen ergaben, dass ein Großteil der T-Zellen von Affen das Rezeptormolekül verliert – nämlich dann, wenn sie zu sogenannten CD4+-Gedächtniszellen umgewandelt werden. Der Angriffspunkt für TGN1412 war also nicht mehr vorhanden, und die Substanz entfaltete ihre Wirkung nur an den gewünschten regulatorischen T-Zellen.

Im menschlichen Körper findet der Verlust von CD28 nicht statt. Die den Versuchsteilnehmern applizierte Dosis reichte daher aus, um etwa 90 Prozent aller T-Zellen im Körper zu aktivieren. Das Resultat: Ein sogenannter „Zytokin-Sturm“ durch die aktivierten T-Zellen rief eine massive Immunantwort des Körpers hervor.

In Russland wird der Substanz nach diesen Erkenntnissen wieder Potenzial für eine klinische Entwicklung zugeschrieben. Die Forscher konnten nachweisen, dass mit 5 Prozent der ursprünglich verabreichten Dosis tatsächlich der gewünschte Effekt auf das Immunsystem erreicht werden kann und nur die regulatorischen T-Zellen aktiviert werden.

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