Deutschland hat den nächsten Zytoskandal. Seit 9 Uhr morgens durchsuchen hunderte Polizisten in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Hamburg mehrere Apotheken, Arztpraxen und Räumlichkeiten von ZytoService in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Es geht um die illegale Zuweisung von Verordnungen und um die Beteiligung von Apothekern an Kliniken zu diesem Zweck.
Am Morgen hat die Polizei auf einen Schlag 47 Durchsuchungsbeschlüsse an 36 verschiedenen Anschriften vollstreckt und sucht bis jetzt nach Beweisen. Unter den durchsuchten Objekten sind Apotheken, Arztpraxen, ein Krankenhaus und Geschäftsräume von Zytoservice, aber auch private Wohnanschriften. 420 Polizisten und sechs Staatsanwälte sind im Einsatz, darunter Spezialkräfte der Beweisnahme und Festnahmeeinheit (BFE). „Unser Ziel ist ein großer Aufschlag, um alle Beweise sichern und dann umfassend auswerten zu können“, erklärt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. „Die Maßnahmen dauern immer noch an.“ Es ist die größte Razzia, die die Wirtschaftsstaatsanwaltschaft jemals angeordnet hat.
Insgesamt haben es die Beamten auf 14 Personen abgesehen: drei von ihnen sind Apotheker, neun sind Ärzte. Zwei der drei Apotheker sind laut Polizeiangaben in leitenden Funktionen. Drei der Beschuldigten wurden in ihren Büroräumen in der Warburgstraße im zentral gelegenen Stadtteil Rotherbaum angetroffen – hier sitzt Alanta, die Holdinggesellschaft von Zytoservice. Mehreren leitenden Personen von ZytoService wird vorgeworfen, „jeweils gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande“ gehandelt zu haben. Ein vierter Verdächtiger wurde in seiner Wohnung am Rabenhorst in Wellingsbüttel aufgefunden.
Nach der Sicherstellung der Beweise beginnt die Arbeit für die Ermittler nun erst: „Es ist ein sehr umfangreiches Verfahren“, erklärt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage. „Erwarten Sie keine Ergebnisse innerhalb von Wochen.“ Die Beamten müssen mutmaßliche Strohmannkonstrukte und Korruptionsnetzwerke durchsteigen, um den Apothekern und Ärzten illegale Machenschaften nachzuweisen. Der Anfangsverdacht lautet auf Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen. Und die Summe ist beachtlich: Der „absolute Mindestschaden“ liege bei 8,6 Millionen Euro – und dabei handele es sich nur um den Schaden, der der Techniker Krankenkasse entstanden ist.
Die Ärzte sollen Vorteile dafür angenommen haben, dass sie Patienten systematisch mit Krebsmedikamenten aus den beschuldigten Zytobetrieben behandelt haben. Das ARD-Magazin Panorama hatte zuvor bereits über die Voprwürfe berichtet. Demnach sollen seit Januar 2017 einzelne Ärzte zur Vergütung ihrer Zuweisungen neben Kickback-Zahlungen in Höhe von mehr als einer halben Million Euro auch rückzahlungsfreie Darlehen, Nutzung luxuriöser Fahrzeuge oder anderweitige geldwerte Zuwendungen wie Praxiseinrichtungen erhalten haben. Auch der Vorwurf des Abrechnungsbetrugs steht im Raum: Über ein Strohmannkonstrukt soll ein Krankenhaus erworben und betrieben worden sein, um die Abrechnungen zu ermöglichen. „Es ist auch rechtlich ein sehr anspruchsvolles Verfahren“, so die Staatsanwaltschaft.
Schwerpunkt der Razzien war Hamburg. Es wurden Objekte am Albert-Schweitzer-Ring (Zytoservice), an der Kuehnstraße in Tonndorf, der Hohen Weide, dem Heussweg und der Osterstraße in Eimsbüttel, der Oskar-Schlemmer-Straße in Billstedt sowie an der Mörkenstraße in Altona-Altstadt durchsucht. Aber auch im Hamburger Umland wurden Objekte durchsucht.
Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass die Zyto-Branche in Norddeutschland ins Visier der Ermittler gerät. Berüchtigt ist der Fall von Apotheker Günter Zeifang, jahrelanger Betreiber eines der größten Zyto-Labore Deutschlands. Im März hat ihn das Landgericht Hamburg gemeinsam mit zwei Ärzten verurteilt, weil sie ein Strohmann-System aufgebaut hatten, über das Zeifang laut Gericht rechtswidrig die Geschäfte zweier Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) kontrolliert hatte. Fast 1,5 Millionen Euro seien so rechtswidrig abgerechnet worden. Zeifang wurde wegen Betrugs in 13 Fällen und Verstoßes gegen das Sozialgesetzbuch (SGB V) zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
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