Im ARD-Spielfilm „Was wir wussten – Risiko mit der Pille“ ging es gestern abend um die Markteinführung einer Verhütungspille. Durch gezieltes Marketing wollte der Hersteller im Film die Diskussion über schwere Nebenwirkungen wie ein erhöhtes Thromboserisiko verhindern. Direkt im Anschluss widmete sich die Sendung Plusminus den realen Hintergründen. Namentlich genannt wurde nur Bayer – der Konzern weist die Vorwürfe zurück.
„Man hat immer eine Wahl“, das ist im Film der Rat eines Freundes an den Hauptdarsteller. Dieser befindet sich in einem privaten und beruflichen Dilemma: Er verlässt seine Frau für einen Seitensprung mit einer Kollegin, diese möchte keine Beziehung mit ihm aufbauen und so findet sich der Protagonist alleine in einer neuen, leeren Wohnung wieder. Beruflich wird derweil viel von ihm verlangt, da er mitverantwortlich für die Zulassung einer neuen Verhütungspille ist. Diese soll zeitnah auf den Markt kommen, doch aktuelle Studienergebnisse erschweren die Einhaltung der „Deadlines“. So gibt der Film eher Anlass zur Annahme, dass es innerhalb der Pharmabranche nur eine Wahl gibt: Man gibt dem finanziellen Druck nach und glaubt an das Produkt.
Zweifelnde Personen werden mehr und mehr aus einzelnen Meetings ausgeschlossen, wichtige Entscheidungen werden außerhalb der Konzerngebäude in teuren Restaurants gefällt. Rücksprachen zu Themen wie Pharmakovigilanz werden mit Einzelpersonen gehalten, im Ganzen scheinen nur eine Handvoll Personen an der Zulassung des Medikamentes beteiligt. Im Film funktioniert das Team als Einheit nur aufgrund von psychischem Druck und der Angst vor den Konsequenzen bei Nichterreichen der gesetzten Firmenziele. Ein Mitarbeiter, im Film eher eine Randfigur, informiert am Folgetag der Markteinführung die Öffentlichkeit über die möglichen Nebenwirkungen. In der abschießenden Szene ist eine Frau zu sehen, die vor den Vorstandsmitgliedern des Pharmakonzerns über ihr Schicksal berichtet.
Im Abspann des Films wurden Portraits von tatsächlich Geschädigten gezeigt, unter ihnen auch Felicitas Rohrer, die den Pharmakonzern Bayer tatsächlich im vergangenen Jahr auf Schadensersatz verklagt hat. Zwischen den Fotos wurden Fakten zum Thema kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) genannt, darunter bereits gezahlte Beträge in den USA und die Gesamtzahl der Frauen, die möglicherweise aufgrund der Verhütungspille eine Thrombose erlitten hatten.
Direkt im Anschluss griff die Sendung Plusminus die Thematik „Risiko mit der Pille“ auf. Es wurde die Marktzulassung der Pille Yasminelle von Bayer thematisiert. Das orale Kontrazeptivum mit dem Wirkstoff Drospirenon gehört zur vierten Generation der Verhütungspillen. Heute ist das erhöhte Thromboserisiko dieser Wirkstoffe bekannt. Plusminus zieht Parallelen zum Film, so werden die tatsächlich von Bayer gewählten Werbeclaims vorgestellt: „Smile-Effect“, „Feelgood-Faktor“ und „Figurbonus“ sind die Schlagwörter auf der Umverpackung der Yasminelle. Waren es im Film Give-Aways wie Wimpernbürstchen und Kamm, so wurden der Pille von Bayer ein Schminkpinsel und ein Spiegel beigelegt. Im Beitrag zeigten geschädigte Frauen ihre aufgehobenen Verpackungen.
In der Anschlusssendung wurden neben den Einzelschicksalen auch Internetseiten vorgestellt, auf denen sich Frauen zu einer Gemeinschaft zusammengetan haben, um auf die Risiken der Pille aufmerksam zu machen. Risiko-Pille.de informiert über aktuelle Todesfallzahlen und klärt über Themen wie Thrombose und Lungenembolie auf. Mit dem Slogan „Mythos Einzelfall“ möchte die von Rohrer ins Leben gerufene Initiative der Thrombosegeschädigten auf die Reichweite der Nebenwirkungen aufmerksam machen. Die Internetseite ruft zur Meldung von eventuellen Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Pille an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf.
Der aktuelle Rechtsstreit wurde bei Plusminus von Bayer bestätigt. Im vergangenen Dezember hatte das Langericht Waldshut-Tiengen die Klage abgelehnt, Rohrer hat Wiederspruch eingelegt. Laut Plusminus war sie die erste Betroffene, die den Konzern verklagte. Im Beipackzettel konnte sie laut eigenen Angaben bis 2011 nichts über ein höheres Thromboserisiko im Vergleich zu anderen KOK lesen. Sie bedauert, dass sie weder durch die Gebrauchsinformation, noch durch ihren Gynäkologen über die möglichen Risiken aufgeklärt wurde.
Bayer betont in einer aktuellen Stellungnahme zum Plusminus-Beitrag das positive Nutzen-Risiko-Profil bei bestimmungsgemäßer Einnahme. Die Entscheidung, Vergleiche in den USA abzuschließen, beruhe auf den spezifischen Fakten und Umständen des jeweiligen Einzelfalls sowie auf Besonderheiten des Rechtssystems in den USA. Daher hätten diese Vergleiche keine Bedeutung für Rechtsfälle in Deutschland.
Bayer verweist darauf, dass alle KOK mit einem erhöhten Risiko für venöse und arterielle Thromboembolien verbunden sind und es sich hierbei um bekannte, aber seltene Nebenwirkungen handelt. Der Konzern betont die fortlaufende Sammlung neuer Daten zu allen oralen Kontrazeptiva und deren Bewertung in Abstimmung mit den Behörden. Der Konzern verteidigt die Inhalte der Packungsbeilagen und Umverpackungen: Die Informationen von Bayer entsprächen den gesetzlichen Vorgaben, insbesondere den Anforderungen des Heilmittelwerbegesetzes (HWG). Bayer rät vor jeder Erstverordnung eines oralen Kontrazeptivums zum Dialog zwischen Arzt und Anwenderin, um die verschiedenen Verhütungsmethoden zu besprechen.
In Deutschland werden die oralen Kontrazeptiva der dritten und vierten Generation am häufigsten von Gynäkologen verordnet. In anderen europäischen Ländern, wie Frankreich, werden Arzneimittel mit den Wirkstoffen dieser Generationen nicht mehr von den Krankenkassen übernommen. Generell nehmen die Verordnungen für orale Kontrazeptiva ab. Frauen setzen häufiger auf Verhütungsmethoden wie das Kondom, die Spirale oder natürliche Verhütungsmethoden.
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