Der Skandal um ZytoService hat kurz vor Weihnachten die Branche erschüttert. Der Konzern soll über eine verschachtelte Firmenkonstruktion die Trennung von Arzt und Apotheker unterlaufen haben: Durch den Kauf von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) habe Zytoservice Verordnungen in die eigenen Herstellerbetriebe geleitet, so der Vorwurf. Dutzende Millionen Euro Schaden sollen den Krankenkassen entstanden sein. Doch es gibt weitere mutmaßliche Opfer: Zahlreiche Zyto-Apotheken, denen durch die Errichtung von Zytoservice-MVZ der Absatz weggenommen wurde. APOTHEKE ADHOC hat eine von ihnen ausfindig gemacht und mit ihr gesprochen. Seit Zytoservice in ihren Ort kam, ist ihre Existenz gefährdet. Sie erhebt aber auch schwere Vorwürfe gegen die Aufsichtsbehörden.
Maria Peters* möchte anonym bleiben – nicht, weil sie Angst vor möglichen Folgen ihrer Aussage hätte, sondern weil sie mit ihrem Einzelschicksal nicht im Mittelpunkt stehen will, wie sie sagt. „Es geht hier nicht um eine einzelne Apotheke, sondern um die Fehler im System“, erklärt sie. Dabei hat Zytoservice ihr nach eigener Darstellung übel mitgespielt: Peters betreibt eine Apotheke in Süddeutschland, bis vor wenigen Jahren mit eigenem Zytolabor. „Ich habe die Apotheke vor 20 Jahren neu gegründet und von Anfang an gemeinsam mit dem Zytolabor aufgebaut“, erinnert sie sich. Das war damals auch die richtige Entscheidung: Die Apotheke zog in ein Ärztehaus, in dem sich auch eine onkologische Praxis befand.
Deren Ärzte zogen zwischenzeitlich aus, blieben aber im Ort und die Zusammenarbeit erhalten – bis Anfang 2018. Da eröffneten sie Peters in einem informellen Gespräch, dass sie ihre Praxis für die Arbeit als Angestellte eines neuen MVZ in der Stadt aufgeben würden. Für die Entscheidung der beiden Mediziner hatte sie sogar Verständnis. „Sie sagten, dass sie jetzt angestellt seien und sich dann um vieles nicht mehr kümmern müssten. Für die ganze Bürokratie, mögliche Rechtsstreitigkeiten und so weiter gebe es bei der Muttergesellschaft eigene Abteilungen. Das konnte ich ein Stück weit nachvollziehen, denn gegen die Macht der Kassen ist man als Einzelkämpfer oft auf verlorenem Posten.“
Außerdem war ihr das Ausmaß noch nicht ganz bewusst. Zu den Ärzten hatte sie ein gutes Verhältnis und so einigten sie sich auch darauf, ihr zumindest eine Übergangszeit zu ermöglichen, in der sie ihre Bestände abbauen kann. „Natürlich war das ein Schock für mich, aber ich hatte die Hoffnung, dass trotzdem noch eine Zusammenarbeit möglich ist, beispielsweise dass ich zumindest die Adhoc-Versorgung übernehme.“ Doch auch diese Hoffnung zerstob schnell, nämlich in dem Moment, in dem „ein paar Herrschaften von Zytoservice“ bei ihr auf der Matte standen. Sie informierten sie auch offiziell darüber, dass Alanta – die Holding, die das Bindeglied zwischen Zytoservice und den MVZ darstellt – die Versorgung übernimmt. Die Frist zum Abbau der Bestände wurde ihr gewährt, eine weitere Zusammenarbeit werde es aber nicht geben.
Forsch oder einschüchternd seien die Zytoservice-Vertreter nicht aufgetreten. „Das war ein ganz normales Gespräch, das sind Profis“, sagt Peters. Dennoch stürzte sie der Verlust in eine existentielle Krise, die noch nicht ausgestanden ist. „Da ist dann erst mal der Schock – nicht wegen der Gewinnspanne, sondern vor allem wegen der Frage, wie man die Unkosten abfängt.“ Weitere Abnehmer für ihre Zytostatika hatte sie nicht, also war ihr schnell klar, dass es das Aus für das Labor bedeutet, mit allen Konsequenzen: Rückbau, Kündigung des Mietvertrags für die Räumlichkeiten, Verkauf oder Vernichtung der Inneneinrichtung und vor allem die Kündigung der Mitarbeiter. Sechs ihrer zehn Angestellten musste sie auf die Straße setzen.
Und Peters wurde misstrauisch. Sie setzte sich an den Computer und schaute nach, was es mit Alanta auf sich hat. „Ich habe dann ein bisschen recherchiert und sofort verstanden, wie das bei denen abläuft“, sagt sie. Dass just zur selben Zeit – Anfang 2018 – auch die Staatsanwaltschaft in Hamburg gerade begonnen hatte, gegen Zytoservice zu ermitteln, konnte sie damals nicht wissen. Aber man musste offenbar auch kein Geheimdienst sein, um zumindest misstrauisch zu werden. Und so wendet sich ihre Wut auch nicht nur gegen den Konzern, sondern auch gegen die Behörden. „Ich kritisiere, dass die Zulassung für dieses MVZ überhaupt erteilt wurde. Warum haben die Aufsichtsbehörden da nicht besser recherchiert?“, fragt sie. „Als ich selbst betroffen war, bin ich ins Internet gegangen und konnte sofort erkennen, wer dahintersteckt, wer alles an der Kette dran hängt und wer am Ende profitiert.“
Es liege auf der Hand, dass eine solche Konstruktion auch angesichts aller möglichen Regulierungslücken gar nicht legal sein könne. „Die Ärzte können doch in ihrer Entscheidung gar nicht mehr frei sein, wenn sie Angestellte eines Konzerns mit eigenen Apotheken, Laboren und Großhandel sind. Und das darf es in unserem System nicht geben.“ Es dürfe nicht sein, „dass nur das Geld regiert. Natürlich leben wir alle davon, aber dass Fachfremde das Kapital rausziehen und die Mitbewerber totmachen, geht einfach nicht.“ Deshalb sei sie auch froh, dass mit den Razzien Ende Dezember auch die Aufmerksamkeit der Massenmedien auf das Thema gelenkt wurde.
Denn die Razzien waren spektakulär, es waren die größten, die die Hamburger Wirtschaftsstaatsanwaltschaft jemals angeordnet hat: Über 400 Polizisten durchsuchten 58 Objekte in drei Bundesländern und stellten dabei 1000 Umzugskartons voller Akten sowie 100 Datenträger sicher. Insgesamt haben es die Beamten auf 14 Personen abgesehen: drei von ihnen sind Apotheker, neun sind Ärzte – ihnen wird Korruption im Gesundheitswesen vorgeworfen, mehrere von ihnen sollen jeweils gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande gehandelt haben. Den Durchsuchungen waren zwei Jahre lange Ermittlungen der Wirtschaftsstaatsanwaltschaft vorausgegangen. 2017 hatten sich zwei Whistleblower mit anonymen Strafanzeigen an die Polizei gewandt und sie damit in Gang gesetzt. Die Muttergesellschaft Alanta weist die Vorwürfe zurück.
Allzu viele Hoffnungen auf eine umfassende juristische Aufarbeitung des Falles hat Peters allerdings nicht. „Ich bin sehr neugierig, was jetzt kommt, bin aber extrem skeptisch. Ich denke, Zytoservice hat eine große Rechtsabteilung und Kontakte bis in die hohe Politik. Die können das bestimmt breittreten.“ Eigene Erfahrungen mit rechtlichen Auseinandersetzungen im Gesundheitswesen hätten ihr Vertrauen in die Gerichte zudem geschmälert.
Dabei ist die Zukunft ihres eigenen Betriebs momentan genauso ungewiss wie die von Zytoservice. „Wir sind eine kleine Apotheke und haben von den Zytostatika gelebt. Ich weiß immer noch nicht, ob es weitergehen kann.“ Es sei letztlich eine betriebswirtschaftliche Abwägung, ob sich die Apotheke noch rentiert. In den kommenden Wochen werde sie sich mit ihrem Steuerberater zusammensetzen und schauen, wie das Ergebnis 2019 – im ersten Jahr komplett ohne Zytolabor – war. Ende dieses Jahres werde sie dann die Entscheidung fällen müssen. „Das hört sich alles schlimm an“, sagt sie. „Aber es ist ein Einzelschicksal. Wir müssen aber auf die größeren Strukturen schauen – vor allem darauf, wo die Geldströme langfließen.“
* Name von der Redaktion geändert.
APOTHEKE ADHOC Debatte