Günter Zeifang gehörte zu den prominentesten Zyto-Apothekern in Deutschland, doch im März wurde er zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Über einen Strohmann soll er sich die Kontrolle über zwei Medizinische Versorgungszentren (MVZ) gesichert haben. In den Gerichtsunterlagen wird akribisch beschrieben, wie die Konstruktion ausgesehen hat.
Die Geschichte beginnt im Jahr 2009. Damals gründet der Onkologe Dr. Ulrich Fritz gemeinsam mit zwei Kollegen einen Praxisverbund mit drei Einrichtungen, doch aufgrund unglücklicher Umstände – ein Kompagnon erleidet eine Hirnblutung, der andere stirbt beim Joggen – steht Fritz schon kurze Zeit später alleine und finanziell angeschlagen da.
Er verhandelt mit Asklepios, doch beim Klinikkonzern hat man rechtliche Bedenken. Stattdessen steigt GHD bei dem im April 2012 gegründeten MVZ Gastroenterologie Onkologie Bergedorf ein. Die Firmengruppe ist als Herstellbetrieb aktiv und versucht laut Gerichtsprotokoll zunehmend, Einfluss auf das Verordnungsverhalten der Ärzte zu nehmen. Fritz weigert sich, entsprechende Dienstanweisungen zu erteilen, vor Gericht einigt man sich darauf, dass GHD die Anteile zurückgibt.
Allerdings kann Fritz die vereinbarte Abfindung nicht zahlen und sucht nach einem neuen Geldgeber. In dieser Situation kommt er mit Zeifang in Kontakt. Dem Apotheker gehört damals nicht nur die Elb-Apotheke, sondern auch der Herstellbetrieb Compound & Care Pharma (C&C). Gemeinsam mit einem auf Medizinrecht spezialisierten Anwalt einer renommierten Hamburger Kanzlei sucht Zeifang wohl schon seit längerem nach einer Möglichkeit, ein MVZ zu erwerben oder sich zu beteiligen, um so Rezepte an seine Apotheke umleiten zu können.
Laut Gericht ist beiden bewusst, dass dies mit legalen Mitteln nicht zu erreichen ist. Anfang 2012 hat die schwarz-gelbe Bundesregierung den Kreis der potenziellen MVZ-Betreiber eingeschränkt. Apotheker dürfen seitdem laut § 95 Sozialgesetzbuch (SGB V) keine Gründungsgesellschafter mehr sein. Anders als andere Zyto-Apotheker ist Zeifang diesmal schlichtweg zu spät dran.
Um trotzdem zum Zuge zu kommen, entwickelt der Apotheker zusammen mit seinem Anwalt die Idee, sich treuhänderisch über einen Vertragsarzt an Fritz‘ MVZ zu beteiligen. Dabei soll sich der Arzt als Gesellschafter weitestgehend passiv verhalten und seine Gesellschafterrechte ausschließlich gemäß den Weisungen Zeifangs ausüben, eventuelle Gewinnausschüttungen soll er weiterleiten. Für diese Tätigkeit als „Strohmann“ soll er eine Vergütung erhalten, die seinen Aufwand und das Risiko kompensiert, und von sämtlichen unternehmerischen Risiken freigestellt werden.
Zur Vorbereitung gewährt Zeifang Fritz zwischen Juni bis August 2013 zunächst mehrere Darlehen über insgesamt 218.000 Euro, um so ein Abhängigkeitsverhältnis zu schaffen. Im Gegenzug verpflichtet sich der Mediziner per notariell beurkundetem Vertrag, 51 Prozent der Anteile am MVZ an C&C oder einen von Zeifangs Firma benannten Dritten zu übertragen. C&C wiederum organisiert für den Kauf einer Praxis eine Bankbürgschaft über 370.000 Euro und sichert zu, für weitere Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von einer Million Euro einzustehen. Außerdem wird Fritz ein jährliches Bruttoeinkommen von 180.000 Euro garantiert.
Nach Kündigung der Darlehensverträge will Zeifang die vereinbarte Abtretung der Gesellschaftsanteile in Anspruch nehmen. Über einen Berater findet Zeifang einen Allgemeinarzt und Homöopathen aus der Nähe von Hannover, der bereit ist, „auf dem Papier“ die Funktion eines Gesellschafters auszuüben. Im Februar 2014 kommt es zur Beurkundung. Der Apotheker lässt sich zum Geschäftsführer des MVZ ernennen. Parallel meldet sich der Mediziner, dessen Praxis immerhin 300 Kilometer entfernt ist und der sonst wenig mit Krebspatienten am Hut hat, beim Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) an, der – von den wahren Verhältnissen nichts ahnend – den Gesellschafterwechsel genehmigt.
Nach wenigen Monaten beginnen die Probleme. Laut Gericht drängt Zeifang die angestellten Ärzte über zwei Handlungsbevollmächtigte dazu, ihre Rezepte ausschließlich an die Elb-Apotheke zu schicken. Die Mediziner sollten sogenannte „Kooperationsvereinbarungen“ unterzeichnen, mit denen sie sich im Wesentlichen verpflichteten, im Rahmen des Bezugs von Medikamenten mit der Apotheke zusammenzuarbeiten. Im Rahmen von „Praxisbegehungen“ und „Mitarbeiterinformationen“ wird die Einhaltung kontrolliert.
Es kommt zum Streit. Als im August 2014 Unklarheiten über die Herstellungsdaten eines Infusionsbeutels auftreten, wird laut Fritz eine Ärztin aufgefordert, ihre Medikamente bei der Elb-Apotheke bestellen – ansonsten müssen sie überlegen, ob sie „hier richtig“ sei. In der Folgezeit gibt es mehrere solcher Interventionen; Zeifangs Gesandte machen sogar Fotos von Infusionsbeuteln.
Fritz sieht laut eigener Aussage die ärztliche Therapiefreiheit in Gefahr; er zweifelt an der berufsrechtlichen Zulässigkeit und beauftragt eine Rechtsanwältin, die Kooperationsvereinbarung rechtlich zu überprüfen. Er verweigert nicht nur seine eigene Unterschrift, sondern kommuniziert seine Bedenken offen mit den Ärzten.
Die Situation eskaliert, es gibt wechselseitige Absetzungs- und Hausverbotserteilungsanträge; am Ende zieht Fritz angesichts der Mehrheitsverhältnisse den Kürzeren. Er kündigt daraufhin den Gesellschaftsvertrag, überträgt seine Anteile an Zeifangs Strohmann und scheidet Ende Juni 2015 aus dem MVZ aus – „ohne Groll“, wie er vor Gericht behauptet. Wenige Wochen später entscheidet er sich aber doch dazu, seinen ehemaligen Partner auffliegen zu lassen. Im September 2015 spricht er mit AOK und TK, dann geht er zur Staatsanwaltschaft und zeigt die Sache an.
Er schildert den Ermittlern aber nicht nur seine Eindrücke, sondern übergibt ihnen einen Ordner mit Unterlagen. Hier findet sich unter anderem der Ausdruck einer E-Mail vom 30. April 2014, die Fritz nach seinem Ausscheiden anonym erhalten haben will. In dieser klärt Zeifangs Anwalt ein Arztehepaar, das seine Praxis in das MVZ einbringen will, über die „gesellschaftlichen Verhältnisse“ auf: C&C beziehungsweise Zeifang hielten wirtschaftlich 51 Prozent über den Arzt; außerdem habe man Zugriff auch auf die seinerzeit noch von Fritz gehaltenen 49 Prozent sowie auf die ihm noch gehörende hälftige Zulassung.
Im Prozess wird die Mail zum wichtigsten Beweismittel, um die Strohmannkonstruktion als solche zu enttarnen. Die Aussagen weiterer Zeugen wirken ebenfalls belastend, dazu kommt aber auch die massive Umsatzsteigerung der Elb-Apotheke – und zwar sowohl hinsichtlich aller Auszahlungen der TK, als auch bezogen auf den Umsatz, der auf Verordnungen aus dem MVZ entfiel.
Die Richter glauben nicht an einen Zufall: „Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Erhöhung der Umsätze darauf zurückzuführen ist, dass der Angeklagte Zeifang seinerseits – gegebenenfalls mittels seiner Gehilfen – erheblichen Einfluss auf das Verordnungsverhalten der Ärzte ausgeübt hat.“
„Obwohl die Angeklagten wussten, dass die Voraussetzungen zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung […] aufgrund der Einbindung des Angeklagten Zeifang entfallen waren und kein Anspruch auf Abrechnung und Ersatz erbrachter Leistungen bestand, wurden […] verschiedene Leistungen für Kassenpatienten abgerechnet und mit jeder quartalsmäßig eingereichten Sammelerklärung ausdrücklich erklärt, dass sämtliche abgerechneten Leistungen entsprechend den jeweils gültigen Bestimmungen zur vertragsärztlichen Versorgung erbracht worden seien und insofern auch jedenfalls konkludent erklärt, die gesetzlichen Voraussetzungen zur Abrechnung für das MVZ Gastroenterologie Onkologie Bergedorf würden weiterhin vorliegen“, heißt es im Urteil.
Auch die Verordnungen wurden laut Gericht mit dem Wissen der Angeklagten eingereicht, dass ein Verstoß gegen das Verbot der Beteiligung von Apothekern an MVZ vorlag und deshalb die Beträge nicht erstattungsfähig waren. Die Angeklagten wirkten demnach in der Absicht zusammen, sich durch die Auszahlungen eine „Einnahmequelle von einer gewissen Dauer“ zu verschaffen: Zeifang profitierte über seine Apotheke sowie die Gewinne des MVZ. Fritz erhielt als Gesellschafter ebenfalls Gewinnausschüttungen, die sich wiederum im Wesentlichen aus den Auszahlungen durch die Krankenkassen speisten, sowie ein Geschäftsführergehalt. Dem Strohmann bezahlte Zeifang „für seine Mitwirkung an dem gemeinsamen Tatplan“.
Zeifang wird wegen Betrugs in 13 Fällen und Verstoßes gegen das SGB V zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, er hat bereits Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Die beiden Mediziner erhalten wegen ihres Beitrags zur Aufklärung beziehungsweise geringerer Schuld nur Bewährungsstrafen. Die fast 1,5 Millionen Euro, die rechtswidrig abgerechnet wurden, werden eingezogen.
Der Apotheker selbst äußert sich im Prozess nur knapp; die Richter gehen davon aus, dass der 62-Jährige selbst dabei mindestens teilweise gelogen hat. Schon früher habe er eine Praxis von Fritz mit Arzneimitteln beliefert und ihm später bei seinen Liquiditätsproblemen helfen wollen, behauptet Zeifang etwa. Ursprünglich habe er sich zwar selbst am MVZ beteiligen wollen, die Idee sei aber verworfen worden. Vielmehr habe er den Kontakt zu dem Arzt aus der Nähe von Hannover hergestellt und diesem die Übernahme per Darlehen finanziert. Andere Verträge habe es nicht gegeben, insbesondere keine Gewinnabführungs- oder Beherrschungsverträge und keine Vereinbarungen, nach denen der Arzt nur Gesellschafter auf Zeit werden sollte.
In den Lieferverträgen seien stets die Rechte der Patienten auf freie Wahl der Apotheke geachtet worden, zu keinem Zeitpunkt sei Druck ausgeübt oder Einfluss auf das Verordnungsverhalten der Ärzte genommen worden, wird Zeifang weiter zitiert. Ohnehin habe er nie ein wirtschaftliches Interesse am Medikamentenbezug über die Elb-Apotheke gehabt; auch der Bezug von Zytostatika über seine Apotheke sei ihm nicht wichtig gewesen. Gleichwohl sei es so, dass insbesondere die großen Klinikkonzerne den Bezug von Zytostatika über ihre eigenen Apotheken praktizierten, platzt es in einem unbedachten Moment dann doch noch aus ihm heraus.
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