Shop Apotheke kauft First A, DocMorris kooperiert mit Partnerapotheken, Investoren pumpen Millionen in Startups, die sich mit 30-Minuten-Lieferversprechen zwischen Kunde und Apotheke drängen. Fast könnte man meinen, die Arzneimittelversorgung findet künftig nicht mehr am HV-Tisch, sondern nur noch via Fahrradkurier statt. Doch mit Apodiscounter, dem Flaggschiff von apo.com Group, ist ein großer Versender schon wieder aus dem Hamsterrad ausgestiegen. CEO Dr. Oliver Scheel sieht keine Chance, der Apotheke vor Ort in der Akutversorgung Konkurrenz zu machen.
„Apo Express“ hieß der Lieferservice von Apodiscounter, der im Dezember 2020 gelauncht wurde. Kunden in verschiedenen Liefergebieten konnten ihre Bestellungen noch am selben Tag erhalten, wenn sie bis 11 Uhr (Berlin), 12 Uhr (Dresden) oder 13 Uhr (Leipzig/Halle) bestellten. Für den zusätzlichen Service, der zunächst kostenfrei war und dann 1,99 beziehungsweise 2,99 Euro kostete, gab es eine Kooperation mit dem Crowdsourcing-Netzwerk „Angel“ des Logistikkonzerns Fiege.
Doch die Resonanz sei hinter den Erwartungen geblieben. „Der Service wurde nicht gut angenommen, es gab gar nicht so viele Aufträge“, sagt Scheel und beziffert das Volumen auf weniger als 2 Prozent. Heute werde der Service nur noch vereinzelt im Raum Leipzig/Halle angeboten. „Same Day ist überzogen“, so Scheel. Es gebe nur wenige echte Bedarfsfälle, die die zusätzlichen Kosten und ökologischen Folgen rechtfertigten.
Aus seiner Sicht ist die Apotheke vor Ort in der Akutversorgung konkurrenzlos. „Der Bereich wird durch die traditionelle Apotheke sehr gut abgedeckt. Als reine Online-Apotheke sind wir strukturell gar nicht in der Lage, den Akutbedarf zu decken. Insofern ist dies kein Markt für uns bei apo.com Group, in dem wir aktiv werden wollen.“ Nur wenn irgendwann der Betrieb von eigenen Apotheken erlaubt würde, wären Omnichannel-Konzepte denkbar. „Aber wir halten uns an die Gesetze.“
Vielmehr setze sein Unternehmen voll und ganz auf die Next-Day-Lieferung. „Wir haben den Markt analysiert und sind überzeugt, dass wir damit viele Segmente abdecken können.“ Allerdings gebe es für Online-Apotheken noch viel zu tun: Nach seiner Schätzung werden derzeit Bestellungen in der Regel erst drei bis vier Tage nach Bestelleingang ausgeliefert.
Angesichts der „Amazonisierung“ erwarteten Kunden aber eine Lieferung innerhalb von 24 Stunden, so Scheel. „Die entscheidende Frage ist, welche Online-Apotheke dieses Serviceniveau zuerst breitflächig und belastbar anbieten kann.“ Er sieht sein Unternehmen gut aufgestellt: In den beiden Logistikzentren in Markkleeberg und Duiven könne man auf hochautomatisierte Logistik zurückgreifen. „Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten intensiv gearbeitet und liefern heute 80 Prozent der Bestellungen innerhalb eines Tages aus – und zwar im Weg der Standardlogistik mit DHL, ohne Fiege/Angel und Sonderkosten.“
Die Stammkunden seien diesen Service längst gewohnt, in der Neukundenakquise soll er aber jetzt deutlicher herausgestellt werden. „Diese unfassbare Stärke wollen wir in der Werbung viel stärker nutzen“, so Scheel. „Das ist durchaus eine Kampfansage an die Konkurrenz. Wir werden unsere Logistikassets voll ins Spiel bringen und für die Kunden auch erlebbar machen.“
Lieferdienste wie Mayd bereiten ihm derzeit keine Sorgen, da sie im Bereich der Akutversorgung und damit außerhalb seines eigenen Kernmarktes agierten. Insofern beobachte er interessiert aus der Ferne, wie sich die Situation weiter entwickelt. Eine persönliche Meinung hat er aber: „Aus Perspektive der Apotheke vor Ort würde ich es sehr kritisch sehen, wenn mir jemand den Zugang zu den Kunden abschneidet, mir gleichzeitig Öffnungszeiten diktiert und dann auch noch einen Teil der Marge wegnimmt.“ Als Apotheker würde er sich genau überlegen, ob er sich zu einem „Lagerort“ degradieren lassen würde. „Das ist die schleichende Aushöhlung der Vor-Ort-Apotheke.“ Zudem gebe es eine ganze Reihe an offenen rechtlichen Fragen.
Ohnehin sieht er in Lieferdiensten nichts Neues: „Apotheken liefern doch längst über ihre Botendienste. Wieso sollte man sich mit zwei bis drei Vertretern pro Tag herumschlagen, die ihnen die Kunden und einen Teil ihrer Marge wegnehmen wollen?“ Vielleicht könnten sich einige junge Innovative in den Metropolen für das neue Angebot begeistern. „Aber die waren auch vorher schon weg für die Apotheke vor Ort.“
Scheel geht davon aus, dass viele Apotheker schnell merken werken, dass sich die Sache für sie nicht rechnet, und wieder abspringen. Die Lieferdienste wiederum könnten schnell Probleme bei der Finanzierung bekommen. „Wir wissen doch aus dem Versandhandel, dass man einen langen Atem braucht und dass es über Jahre hinweg nur als Zuschussgeschäft funktioniert.“
Vor-Ort- wie Online-Apotheken prophezeit er eine gute Zukunft, jedenfalls den aktiven. „Der Markt ist groß genug für alle, auch wenn es Verschiebungen von Umsätzen und Kosten geben wird. Jeder findet gerade seine Rolle neu, ich bin überzeugt, dass wir sehr gut koexistieren können.“ Das E-Rezept sei eine „faire Chance für einen nachhaltigen Online-Handel mit gemischten Warenkörben“. Doch auch für die Apotheke vor Ort gebe es viele Möglichkeiten, sich zu positionieren und Geld zu verdienen.
Klar sei aber auch, dass nicht alle 18.000 Apotheken gebraucht würden. Das habe aber weniger mit dem Versandhandel zu tun als vielmehr mit der Führung der Apotheke. „Jeder sollte den Anspruch haben, permanent innovativ zu bleiben. Wir haben jedenfalls das Ziel, den Apothekenmarkt zu modernisieren und damit die Arzneimittelversorgung für die Menschen zu verbessern.“
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