Die EU kauft noch doch den inaktivierten Ganzvirusimpfstoff des Herstellers Valneva – allerdings in deutlich geringerer Menge als ursprünglich geplant. Eine Vertragsklausel hatte Brüssel den Ausstieg aus der Vereinbarung über 24 Millionen Dosen in diesem Jahr möglich gemacht. Auch Deutschland erhält in den kommenden Wochen erste Lieferungen. Ob die einzige echte Alternative zu den mRNA-Impfstoffen weiterentwickelt wird, hängt nun aber davon ab, ob andere Länder noch Bestellungen aufgeben.
Die EU-Kommission hat eine Änderung des Vertrags mit Valneva aus dem November vergangenen Jahres genehmigt. Demnach kauft die EU in diesem Jahr 1,25 Millionen Dosen des Impfstoffs mit dem Namen VLA2001 mit der Option, diese Menge im Verlauf des Jahres noch einmal zu verdoppeln.
Die ersten Impfstoffdosen werden in den kommenden Wochen an die teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten geliefert, das sind neben Deutschland auch Österreich, Dänemark, Finnland und Bulgarien. Valneva wird Lagerbestände für weitere mögliche Lieferungen vorhalten und parallel versuchen, ungefähr acht bis zehn Millionen bereits Dosen des verbleibenden Lagerbestands auf den internationalen Märkten anzubieten. Angesichts der erwarteten Haltbarkeit von bis zu 24 Monaten wird der Einsatz in den nächsten sechs bis zwölf Monaten angestrebt.
Ursprünglich sollten in diesem und im kommenden Jahr bis zu 60 Millionen Dosen abgenommen werden. Brüssel hatte jedoch im Mai unvermittelt angekündigt, den Vertrag zu kündigen, da die Zulassung nicht rechtzeitig erteilt wurde. Dies lag allerdings auch an wiederholten Nachfragen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), die kurz darauf doch noch die Prüfung abschloss und die Zulassung erteilte. Für Valneva kam das zu spät, der Hersteller musste sich der EU beugen – ein beispielloser Vorgang, zumal man in Brüssel wiederholt betont hatte, auf verschiedene Technologien zu setzen.
Angesichts des drastisch reduzierten Auftragsvolumens stellt Valneva nun sein gesamtes Covid-19-Programm auf den Prüfstand. Man setze die Gespräche über potenzielle zusätzliche Liefer- und Finanzierungsvereinbarungen mit verschiedenen anderen Ländern auf der ganzen Welt fort, so das Unternehmen. In die Weiterentwicklung des aktuellen oder zweiten Covid-19-Impfstoffs werde man aber nur dann investieren, wenn eine Vereinbarung mit potenziellen Kunden zustande komme oder die erforderliche Finanzierung auf andere Weise gesichert werde – und zwar noch im Sommer. Ursprünglich hatte Valneva sogar angedroht, das Programm komplett einzustellen und überhaupt keinen Impfstoff nach Europa zu liefern.
Laut CEO Thomas Lingelbach spiegelt das Auftragsvolumen nicht das Interesse wider, das man von den EU-Bürger:innen gespiegelt bekomme. „Trotzdem haben wir uns entschieden, diese Änderung vorzunehmen, um unseren Impfstoff den Europäern zur Verfügung zu stellen, die darauf gewartet haben.“ Obwohl die Pandemie zurückgegangen sei, unterstreiche die jüngste Welle deutlich die Notwendigkeit alternativer Impfstoffe. „15 Prozent der Europäer über 18 sind noch nicht geimpft und wir erhalten weiterhin Nachrichten von Menschen, die auf eine traditionellere Impfstofftechnologie warten.“
Immerhin: Da Valneva die Anzahlung der EU behalten kann, erwartet das Unternehmen keine unmittelbaren Liquiditätsengpässe, sondern sogar einen Umsatz für das laufende Jahr am unteren Ende der Prognose. Allerdings habe man die Herstellung von VLA2001 eingestellt und prüfe mögliche Abschreibungen.
Im Zweifelsfall will sich Valneva ganz auf die beiden Impfstoffe in der Spätphase fokussieren: den Kandidaten gegen Borreliose, der mit Pfizer entwickelt und voraussichtlich im dritten Quartal in die Phase-III-Studie gehen wird, und den Einmalimpfstoff gegen das Chikungunyavirus, der noch in diesem Jahr bei der US-Arzneimittelbehörde FDA zur Zulassung eingereicht werden soll. Parallel arbeite man daran, neue Impfstoffkandidaten aus präklinischen Programmen oder durch Übernahmen in die klinische Phase zu bekommen.
VLA2001 ist nicht nur der einzige inaktivierte Ganzvirusimpfstoff gegen Covid-19, sondern auch der erste Corona-Impfstoff, der in Europa eine standardmäßige Marktzulassung erhalten hat. Der Impfstoff erhielt außerdem eine bedingte Marktzulassung in Großbritannien und eine Notfallzulassung in den Vereinigten Arabischen Emiraten und im Königreich Bahrain. Nur mit Bahrain gibt es derzeit einen weiteren Liefervertrag über eine Million Dosen.
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