Verzicht auf Valneva

Corona-Impfstoffe: EU setzt alles auf eine Karte

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Berlin -

Die EU-Kommission will den Liefervertrag mit Valneva kündigen – weil die Zulassung des Corona-Impfstoffs des österreichisch-französischen Herstellers zu lange auf sich warten lässt. Pikant: Es ist die Brüsseler Behörde selbst, die nach entsprechender Einschätzung der ihr nachgelagerten Arzneimittelbehörde EMA darüber entscheidet, ob und wann die Vakzine auf den Markt kommen kann. Sollte man tatsächlich nur aufgrund von Fristen auf den einzigen Ganzvirusimpfstoff verzichten, wäre es die Abkehr von der bislang geltenden Maxime, mehrere unterschiedliche Technologien in der Pipeline zu haben.

Eigentlich sollte der Impfstoff von Valneva schon im ersten Quartal zugelassen werden. Im Dezember hatte der Hersteller den Zulassungsantrag gestellt, die EMA hatte ein rollierendes Prüfungsverfahren gestartet. Anfang Januar bestätigte das Unternehmen noch einmal den Zeitplan.

Ende Februar erhielt Valneva vom Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) eine „abschließende Liste von Fragen“ und gab sich zuversichtlich, diese innerhalb weniger Tage beantworten zu können. Doch Ende April teilte das Unternehmen mit, dass es nach einem Treffen mit Vertretern der Behörde eine weitere Liste von Fragen („LoQ“) gegeben habe. Gefordert wurden Daten zur Bindung als auch zu neutralisierenden Antikörpern, zusätzliche Subanalysen für einige klinische Daten und eine Klärung im Zusammenhang mit einer Freigabe-Spezifikation. Am 2. Mai lieferte Valneva die gewünschten Angaben, die laut CEO Thomas Lingelbach alle offenen Punkte adäquat beantworteten.

Doch am Freitag teilte die EU-Kommission überraschend mit, dass sie den Vertrag kündigen werde, sollte Valneva nicht innerhalb von 30 Tagen die Zulassung erhalten oder einen angemessenen Lösungsvorschlag machen. Das klingt für einige Analysten nach Erpressung oder wenigstens nach Interessenskonflikt: Immerhin hat es alleine die EU-Kommission in der Hand, auf Basis einer EMA-Empfehlung über die Zulassung zu entscheiden. Lingelbach selbst will aber nicht so weit gehen: Zulassungsbehörden müssten absolut unabhängig und frei von politischen oder kommerziellen Interessen arbeiten können. Er verwies auf Großbritannien, wo der Impfstoff zugelassen worden sei, obwohl die Regierung den Liefervertrag ein Jahr zuvor storniert hatte. Man sehe derzeit keinerlei Anzeichen, dass die Verzögerungen bei der EU-Zulassung irgendeinen wirtschaftlichen Hintergrund haben könnten.

Dennoch dürfte die Stimmung bei Valneva irgendwo zwischen Hilflosigkeit und Verzweiflung zu finden sein. Die Ankündigung der EU-Kommission sei – jenseits des Verweises auf die im Vertrag vereinbarten Fristen – ohne jede weitere Begründung gewesen. Ein Sprecher der Behörde sagte, es sei „noch keine endgültige Entscheidung“ gefallen; lediglich habe der Impf-Lenkungsausschuss der EU über seine Absicht informiert, den Vertrag zu beenden. Man prüfe jede Lösungsmöglichkeit des Unternehmens.

Von der EMA selbst kommen offenbar ebenfalls keine hilfreichen Signale: Aus der am frühen Morgen veröffentlichten Tagesordnung des CHMP für diese Woche lasse sich nicht ablesen, ob über den Kandidaten VLA2001 gesprochen werde, so Lingelbach. Es ist das letzte Zeitfenster für den Hersteller: Die nächste Sitzung findet Ende Juni statt – also weit nach Ablauf der von der Kommission gesetzten Frist. Und selbst wenn die EMA in dieser Woche grünes Licht geben sollte, wird über die Zulassung wohl erst im Juni entschieden – durch den rücktrittswillligen Vertragspartner wohlgemerkt.

Dennoch will sich Valneva nicht unterkriegen lassen: Man werde alles unternehmen, um mit dem von der EU-Kommission geforderten Lösungsvorschlag zu überzeugen. Er verwies darauf, dass die EMA das Studiendesign von Anfang an kannte und exakt dieselben Unterlagen erhalten habe wie die Agenturen anderer Länder, in denen der Impfstoff in den vergangenen Wochen und Monaten zugelassen wurde. Entsprechend sei man zuversichtlich, dass man die Zulassung erhalten werde.

Parallel spreche man mit den Mitgliedstaaten, die bereits ein deutliches Interesse signalisiert hätten. Namen will Lingelbach nicht nennen, es seien große Länder dabei. Außerdem spreche man mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den Impfstoff bereits empfohlen habe, und mit Ländern außerhalb der EU, in denen die Impfquoten gering seien oder in denen bislang vor allem die chinesischen Vakzine verimpft wurden. Ein Beispiel sind die Vereinigten Arabischen Emirate, wo Valneva gerade die Zulassung erhalten hat. Parallel wird der Effekt einer Boosterung an Patient:innen getestet, die vorher einen anderen Impfstoff erhalten haben – hier hatte Valneva bei einer Studie aus Großbritannien im Dezember schlecht abgeschnitten.

Für die Pandemiebekämpfung würde die Kündigung eine Abkehr vom bisherigen Ansatz bedeuten: Vor einem Jahr hatten sich die Gesundheitsminister der Mitgliedstaaten darauf geeinigt, dass die EU nicht nur auf einen Hersteller und eine Technologie setzen sollen, sondern auf mehrere. 2+2 laute der Ansatz, den die EU-Kommission bei der Beschaffung berücksichtigen solle, erklärte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU): zwei mRNA-Impfstoffe und zwei Impfstoffe, die auf einer anderen Technologie beruhen.

Tatsächlich kamen seit Beginn der Impfkampagne die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna zum Einsatz sowie die Vektorimpfstoffe vo AstraZeneca und Janssen. Letztere haben allerdings wegen Berichten über Nebenwirkungen an Bedeutung verloren. Neu hinzugekommen ist seitdem lediglich der Totimpfstoff von Novavax, der allerdings rekombinant mit Hilfe eines Baculoviruses in Mottenzellen hergestellt wird und genau wie allen anderen Vakzine auf das Spike-Protein ausgerichtet ist.

Bei VLA2001 dagegen handelt es sich um den einzigen Ganzvirus-Impfstoffkandidaten, der in Europa in Entwicklung ist. Dem Körper wird das gesamte abgetötete Virus präsentiert, sodass sich das Immunsystem mit allen antigenen Strukturen auf der Oberfläche auseinandersetzen kann. Nachteil ist zwar, dass die zelluläre Antwort mangels Expression auf befallenen Körperzellen kaum aktiviert wird; Wissenschaftler hatten dies als entscheidende Schwäche ausgemacht. Doch durch die Verwendung der gesamten Virushülle und die Zugabe des DNA-basierten Adjuvans CpG1018 erwartet Valneva eine breite Immunantwort – inklusive antigenspezifischer T-Zellaktivierung.

Dass die EU nun ausgerechnet dieses Mittel aus der Hand gibt, kurz bevor es wohl zugelassen wird, ist kritisch zu hinterfragen. Immerhin waren für dieses und das kommende Jahr gerade einmal 60 Millionen Dosen bestellt worden – kein Vergleich zu jenen zusätzlichen 1,8 Milliarden Dosen, die Brüssel bis Ende 2023 alleine bei Biontech reserviert hat. Lingelbach ist zuversichtlich, dass er die Mitgliedstaaten überzeugen kann – und dass Valneva als zusätzliche Option noch eine Rolle in der Impfkampagne spielen kann.

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