Die gestrige Razzia bei Zytoservice hatte ein größeres Ausmaß als die Behörden selbst erwartet hatten. Insgesamt wurden 58 Objekte durchsucht – elf mehr als geplant. „Im Laufe der Durchsuchungen haben sich weitere Objekte ergeben“, erklärt die Hamburger Staatsanwaltschaft auf Nachfrage. Dabei gibt es auch gute Nachrichten: Bisher hat die Staatsanwaltschaft keine Erkenntnisse, dass Patienten zu Schaden gekommen sein könnten.
Die gestrige Razzia bei Zytoservice hatte Dimensionen, wie sie auch die Hamburger Polizei nur selten zu Gesicht bekommt: Rund 1000 Umzugskartons voller Akten und 100 Datenträger haben die Spezialkräfte der Beweisnahme- und Festnahmeeinheit (BFE) sichergestellt. Festgenommen wurde niemand. Der Einsatz dauerte den ganzen Tag: 9 Uhr morgens hatten die Beamten geklingelt, gegen 17.30 Uhr waren sie dann mit der Beweissicherung fertig. Während der Durchsuchungen waren die Beamten durch sichergestellte Dokumente auf weitere Objekte aufmerksam geworden, darunter zwei Bankschließfächer.
Mit Hilfe sogenannter Korrespondenzstaatsanwälte ließen die Beamten elf weitere Durchsuchungsbeschlüsse ausstellen, zehn davon für weitere Wohnungen und Geschäftsräume sowie einen für die beiden Bankschließfächer. Außerdem gab die Staatsanwaltschaft am Mittwoch bekannt, dass auch ein Standort in Sachsen durchsucht wurde. Von den insgesamt 58 durchsuchten Objekten befinden sich 52 in Hamburg, vier in Schleswig-Holstein, eines in Niedersachsen und eines in Sachsen.
Selbst wenn alle bisherigen Vorwürfe gegen Zytoservice und die dazugehörigen Unternehmen zutreffen sollten, ist dabei nach bisherigem Erkenntnisstand wohl niemand gesundheitlich zu Schaden gekommen. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass Rezepte zu Unrecht ausgestellt wurden oder es aus Profitgründen Manipulationen an Zubereitungen gegeben haben könnte, wie das beispielsweise beim Zytoskandal rund um die Alte Apotheke in Bottrop der Fall war. Entsprechend gebe es auch keine Ermittlungen wegen Körperverletzung, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Auch dafür, dass Preise manipuliert worden sein könnten, gebe es noch keine Erkenntnisse. Allerdings werde in diese Richtung ermittelt. Es sei nach wie vor noch nicht abzusehen, wie hoch die tatsächliche Schadenssumme ist. Der „absolute Mindestschaden“, liege bei 8,6 Millionen Euro, wie die Staatsanwaltschaft bereits gestern mitteilte. Allerdings handelt sich dabei dem Vernehmen nach nur um die Summe, um die sich die Techniker Krankenkasse betrogen sieht – es wird also voraussichtlich noch bedeutend mehr.
Für viele Beobachter stellt sich derzeit allerdings die Frage, wie in dem Fall überhaupt ein Schaden für die Krankenkassen zustande gekommen sein kann. Denn der Vorwurf illegaler Machenschaften bezieht sich lediglich auf die Art und Weise, wie die Verordnungen zugewiesen wurden, nicht welche. Die Patienten haben ihre Zytostatika offenbar medizinisch korrekt erhalten und auch für unnötige Verordnungen aus Profitgründen gibt es bisher keine Anhaltspunkte.
Die Krankenkassen haben also für wirksame und korrekt verschriebene Zytostatika gezahlt. Hier sind die alltagssprachliche und die juristische Verwendung des Begriffs Schaden nicht deckungsgleich, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft erklärt: „Auf diese Art zustande gekommene Rezepte können nicht legal abgerechnet werden und alles, was illegal ist, ist ein Schaden für die Krankenkassen.“
Den Durchsuchungen waren zwei Jahre lange Ermittlungen der Wirtschaftsstaatsanwaltschaft vorausgegangen. 2017 hatten sich zwei Whistleblower mit anonymen Strafanzeigen an die Polizei gewandt und sie damit in Gang gesetzt. Im Fadenkreuz der Ermittler stehen bisher 14 Personen, drei von ihnen sind Apotheker, neun sind Ärzte.
Zwei der drei Apotheker sind laut Polizeiangaben in leitenden Funktionen. Drei der Beschuldigten wurden in ihren Büroräumen in der Warburgstraße im zentral gelegenen Stadtteil Rotherbaum angetroffen – hier sitzt Alanta, die Holdinggesellschaft von Zytoservice.
Mehreren leitenden Personen von Zytoservice wird vorgeworfen, „jeweils gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande“ gehandelt zu haben. Ein vierter Verdächtiger wurde in seiner Wohnung am Rabenhorst in Wellingsbüttel aufgefunden. Der Anfangsverdacht lautet Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen im besonders schweren Fall sowie bandenmäßiger Abrechnungsbetrug. Mit baldigen Ergebnissen oder gar einer Anklageerhebung ist jedoch nicht zu rechnen. Die Auswertung der sichergestellten Dokumente wird mindestens Monate in Anspruch nehmen.
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