Kooperation mit Arztpraxis

Zuweiser-Retax: Apotheke muss 130.000 Euro zahlen

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Berlin -

Weil eine Arztpraxis mit einer bestimmten Apotheke kooperierte und die Patientinnen und Patienten eine entsprechende Einverständniserklärung unterzeichnen ließ, retaxierte eine Kasse sämtliche belieferten Verordnungen, in Summe mehr als 157.000 Euro. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) erklärte das Modell für unrechtmäßig und verdonnerte den – offenbar schon einschlägig bekannten – Inhaber zur Nachzahlung, das Bundessozialgericht (BSG) wies eine Beschwerde gegen das Urteil ab.

Zwischen 2013 und 2015 hatte die Apotheke zwei Praxen mit verschiedenen hochpreisigen Arzneimitteln, darunter Remicade, Enbrel und Humira, versorgt. Auch das zur Rekonstitution erforderliche Injektionswasser wurde zur Verfügung gestellt. Die Patientinnen und Patienten mussten vor Behandlungsbeginn ein Formular unterzeichnen, dass sie einverstanden seien, dass „das jeweilige Medikament durch die Ärzte in einer Apotheke besorgt“ würde. Die Formulierung lautete: „Hiermit beauftrage ich [...] meinen Arzt [...] damit, mein kühlpflichtiges Medikament aus organisatorischen Gründen durch die Apotheke direkt in die Praxis liefern zu lassen“.

Verstoß gegen Zuweisungsverbot

Nachdem auf diese Weise insgesamt mehr als 170.000 Euro abgerechnet wurden, retaxierte die Kasse einen Betrag von knapp 157.000 Euro. Die Verordnungen seien unmittelbar von den Ärzten und nicht von den Versicherten eingereicht worden, sodass ein Verstoß gegen das Zuweisungsverbot anzunehmen sei.

§ 11 Apothekengesetz (ApoG)

„Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken dürfen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, oder mit Dritten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben.“

Apotheker ohne Approbation

Ihr stehe ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, so die Kasse. Allerdings habe man die Forderungen nicht mehr mit den in der Folgezeit eingehenden Abrechnungen verrechnen können: Denn „vollständig unangekündigt und überraschend“ sei die Apotheke mit Wirkung zum 1. August 2015 verkauft worden, nachdem dem früheren Inhaber der Entzug der Approbation durch die Aufsichtsbehörde angekündigt worden sei. Er sei in anderer Sache wegen Abrechnungsbetruges zulasten der Krankenkassen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden sei.

Also versuchte die Kasse, ihre Forderungen vor Gericht einzutreiben; im Streit ging es am Ende immerhin noch um 131.000 Euro. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe das Thema eindeutig geklärt; nur für den Bereich der Zytostatikaversorgung gebe es eine gesetzliche Ausnahme. Hier sei dagegen keine medizinische Notwendigkeit erkennbar; die vorgefertigten Einverständniserklärungen seien kein Nachweis für ein zulässiges Handeln der Vertragsärzte. Denn Patienten könnten ihr Wahlrecht gar nicht wirksam auf den Arzt übertragen. „Die Vorschrift des § 11 ApoG stehe nicht zur Disposition des einzelnen Versicherten.“ Anderenfalls würde das Anliegen des Gesetzgebers, eine strikte Trennung zwischen Arzt und Apotheker zu gewährleisten, unterlaufen.

„Beste Absichten“

Der Apotheker argumentierte, es sei in der Vergangenheit des Öfteren dazu gekommen, dass Patienten in der Praxis erschienen seien, die entweder vergessen hätten, das Medikament zuvor in einer Apotheke zu besorgen oder das Medikament nicht ausreichend gekühlt hätten. Die Zusammenarbeit mit der Praxis diene der Einhaltung der Kühlkette und damit einzig und alleine dem Zweck, dem Patienten die volle Potenz des Arzneimittels zu erhalten.

Die Ärzte hätten die Patienten auch nicht „gebeten“, die Medikamente bei der Partnerapotheke zu bestellen, sondern ihnen lediglich die Möglichkeit dazu eingeräumt. Diese sei gestützt gewesen auf medizinische Erfahrungen, den alltäglichen Umgang mit Patienten und auf den Willen, das bestmögliche Resultat für die Patienten zu erzielen.

Sozialgericht sah kein Problem

Das Sozialgericht Hannover (SG) entschied vor zwei Jahren noch zugunsten des Pharmazeuten. Die Ärzte hätten sich nicht von sachfremden, insbesondere finanziellen Gründen leiten lassen, es gebe keine Anhaltspunkte für eine Vorteilsnahme. Vielmehr habe letztendlich die adäquate Patientenversorgung im Vordergrund gestanden, da die Versorgung mit den für die Behandlung vorgesehen Arzneimitteln durch die Patienten nicht gewährleistet gewesen wäre.

Dies habe zum einen daran gelegen, dass bestimmte Apotheken zuvor die Bestellung der hochpreisigen Arzneimittel verweigert hätten. Zum anderen wäre aus der Sicht der Ärzte die adäquate Aufbewahrung der Arzneimittel unter den vorgegebenen Temperaturen durch die Patienten nicht sichergestellt worden.

Die Aufforderung, bei einer bestimmten Apotheke zu bestellen, beeinträchtige die Patienten auch nicht in unzulässiger Weise in ihrer Entscheidungsfreiheit. Mit der Einwilligungserklärung sei das Wahlrecht des Patienten wirksam auf den Arzt übertragen worden; es hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die Erklärung der Patienten unter Zwang oder Drohung erfolgt sei. Damit sei die Vergütung zu Recht erfolgt, sodass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung nicht erfüllt sein.

Kaufvertrag nicht zustande gekommen

Das LSG räumte die Entscheidung ab – und verwies auf das Dreiecksverhältnis der Beteiligten: Der Arzt handele bei Ausstellung der Verordnung als Vertreter der Krankenkasse. „Der Versicherte übermittelt als Bote das in dem Kassenrezept verkörperte Vertragsangebot an den Apotheker, wobei er hinsichtlich der Auswahl der Apotheke gleichzeitig als Vertreter der Krankenkasse fungiert.“ Der Apotheker nehme das Angebot an, indem er dem Versicherten das Arzneimittel aushändige, wodurch der Kaufvertrag zwischen Apotheker und Kasse zustande komme.

„Die unmittelbare Abgabe von Arzneimitteln vom Apotheker an den Vertragsarzt ist dabei ebenso wenig wie die Auswahl der Apotheke durch den Arzt als Vertreter der Krankenkasse vorgesehen. Es ist das Recht des Versicherten als Vertreter der Krankenkasse die Apotheke auszuwählen“, so das LSG. „Als Kehrseite dazu besteht das Beeinflussungsverbot.“

Im konkreten Fall habe eine Auswahl durch die Versicherten nicht stattgefunden. Dabei sei es offensichtlich, dass eine geeignete Versorgung auch von anderen Apothekern durchgeführt werden konnte. „Die Aufbewahrung der an die Patienten zu liefernden Medikamente entsprechend den Herstellerangaben dürfte zu den allgemeinen Pflichten eines Apothekers gehören, die von jedem Leistungserbringer erwartet werden.“

„Damit ist die Auswahl der Apotheke nicht entsprechend der Abgabebestimmungen erfolgt und ein Kaufvertrag auf Grundlage dieser Abgabebestimmungen nicht zustande gekommen.“ Zugunsten der Kasse bestehe daher ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Als Ergebnis der bewusst herbeigeführten „Verkürzung des Versorgungswegs unter Ausschluss des Patienten“ habe die Apotheke im Ergebnis Medikamente unter Verstoß gegen das Abspracheverbot an die Ärzte abgegeben.

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