Die Fallzahlen der Rezeptfälschungen steigen weiter: Insbesondere in Berlin und Brandenburg werden seit Monaten manipulierte Verordnungen über Abnehmspritzen in den Apotheken vorgelegt. „Die Täter greifen dabei erstaunlich oft auf echte Rezepte von kürzlich geschlossenen Arztpraxen zurück“, so der Versicherungsexperte Michael Jeinsen. Wie können sich Apotheken vor solchem Rezeptbetrug schützen? Ein Überblick.
Nicht erkannte Rezeptfälschungen sind ärgerlich, denn Retaxationen mit hohen Fehlbeträgen sind die Folge. Die Rezeptbetrügereien sind kein regional begrenztes Phänomen, sondern kommen deutschlandweit vor. „Selbst Krankenkassen zeigen sich bereits alarmiert und haben Gegenmaßnahmen angekündigt“, erklärt Jeinsen. Das Problem: „Die Betrugsfälle werden oft mit einer Null-Retaxation geahndet, insbesondere dann, wenn die Fälschung in der Apotheke hätte auffallen müssen.“ In die „Röhre schauen“ am Ende folglich meist Apotheker und Apothekerinnen, so der Experte.
Sein Rat: „Vor allem Apotheken, die nur mit Standard-Policen versichert sind, die keine spezifischen Apothekenrisiken wie etwa Rezeptbetrug absichern, sollten besonders wachsam sein. Lediglich Apothekeninhaber, die sich mit explizit für ihre Branche konzipierten Policen schützen, befinden sich noch in einer vergleichsweise komfortablen Lage. Denn sie sind in der Regel gegen Rezeptbetrug abgesichert und erhalten den Verlust ersetzt.“
Halte der Trend jedoch an, dürften Versicherer bald die Reißleine ziehen, vermutet Jeinsen. „Bereits jetzt gibt es Signale, dass die finanziellen Belastungen aufgrund der aktuellen Welle von Rezeptfälschungen für Versicherer zu groß werden.“ Zu erwarten sei daher, dass Selbstbehalte eingeführt oder erhöht werden, so der Experte. „Ebenfalls wahrscheinlich sind höhere Prämienzahlungen für die Absicherung von Rezeptbetrügereien. Im schlimmsten Fall könnten Versicherer sogar diesen Schutz komplett streichen.“ Dann wäre eine Absicherung bei Rezeptbetrug so schwer zu erhalten wie beispielsweise eine Versicherung für einen Reinraum. „Zur Erinnerung: Den haben viele Versicherer gekappt, weil die Schadenshöhen nicht mehr tragbar waren“, erklärt Jeinsen.
Auffällig an der aktuellen Welle sei, dass es „nicht in erster Linie BTM sind, die betrügerisch erbeutet werden sollen“, sondern vor allem Diabetes-Medikamente. „Und hier haben sich die Täter auf solche Präparate spezialisiert, die auch zur Gewichtsreduzierung angeboten werden. Heiß begehrt sind unter anderem die Abnehmspritzen Ozempic und Mounjaro“, so Jeinsen.
Dabei würden sehr oft echte Rezepte von Arztpraxen genutzt, welche erst kürzlich geschlossen haben. „Offensichtlich haben sich für Kriminelle Quellen aufgetan, die nun im größeren Umfang genutzt werden“, vermutet Jeinsen. Das mache es für Apotheken umso schwieriger, einen Betrugsversuch zu erkennen. „Helfen können interne Listen über kürzlich geschlossene Arztpraxen der Region“, so der Experte.
„Grundsätzlich sollten alle Mitarbeitenden bei bestimmten Verordnungen über Präparate, wie Abnehmspritzen oder Mittel, die Wachstumshormone enthalten (Genotropin) besonders wachsam sein. Vorsicht ist auch angeraten, wenn unbekannte Kunden in der Offizin erscheinen und Rezepte einer unbekannten oder weit entfernten Arztpraxis vorlegen“, so Jeinsen. Und weiter: „Laut Berichten von Betroffenen bestellen Betrüger das von ihnen gewünschte Mittel oft telefonisch, um sicherzugehen, dass es auch wirklich in der Apotheke vorhanden ist.“
Darüber hinaus gebe es einige häufige Fehler. „Typisch sind etwa fehlende Postleitzahlen, die Angabe Versicherungsstatus 1 für Minderjährige, fehlende Magnetcodierungen am rechten unteren Rand oder uneinheitliche Angaben bei Arzt- und Betriebsstättennummern“, erklärt der Experte. „Bei solchen und anderen Verdachtsfällen kann von Kunden verlangt werden, dass sie ihre Versicherungskarte oder den Personalausweis vorzeigen. Mitunter treten Kriminelle dann den Rückzug an.“
Nützen alle diese Vorsichtsmaßnahmen nichts, stehen Apothekeninhaber vor der Frage, ob sie Strafanzeige erstatten sollen oder nicht. „Keine ganz leichte Entscheidung, denn die apothekerliche Schweigepflicht gerät schnell in Konflikt mit einer Anzeigenerstattung. Hier müssen die Opfer eines Betrugs pro und contra abwägen. Eine Pflicht zur Erstattung einer Anzeige gibt es aber nicht“, so Jeinsen.