AOK warnt vor Retaxationen

Pegasys: Eigentlich jedes Papierrezept gefälscht

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Berlin -

Rezeptfälschungen verursachen nicht nur einen finanziellen Schaden, sondern können auch die Versorgung der Patient:innen gefährden. Aktuell im Fall von Ozempic (Semaglutid, Novo Nordisk) und Trulicity (Dulaglutid, Lilly). Denn die Arzneimittel sind von Lieferengpässen betroffen. Und auch vor bundesweiten Rezeptfälschungen über Mounjaro (Tirzepatid, Lilly) und Pegasys (Peginterferon α-2a, Roche) warnt die AOK Nordost. Bei Pegasys beträgt die Fälschungsquote bei Papierrezepten laut Kasse sogar 96 Prozent.

Rezeptfälschung ist kein Kavaliersdelikt. Dass die Urkundenfälschung mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden kann, schreckt Fälscher:innen nicht ab. Zum Leidwesen der Apotheken, Kostenträger und Patient:innen, die dringend auf die Medikation angewiesen sind.

Mindestens jedes 10. Rezept manipuliert

Wie die AOK Nordost informiert, handelt es sich bei mindestens jedem zehnten Rezept, das im ersten Quartal ausgestellt wurde, um eine Fälschung. Bei Papierrezepten über Pegasys liegt die Fälschungsquote bei 96 Prozent. Apotheken werden gebeten, Rezepte sorgfältig zu prüfen, denn bei grober Fahrlässigkeit drohe eine Retaxierung.

Daran sind die Fälschungen zu erkennen

  • explizite Angabe der Diagnose
  • falsche oder keine Dosierung angegeben
  • nicht einheitliches Schriftbild
  • Wohnort des/der Versicherten und Standort der verordnenden Praxis sind weit von Apotheke entfernt

Tipp der Kasse: Vermuten Apotheken eine Fälschung, sollten sie direkt die Polizei informieren und sich auf jeden Fall mit der zuständigen Krankenkasse in Verbindung setzen.

Sechsstelliger Schaden

Fälschungen über Ozempic, Trulicity, Mounjaro und Pegasys haben bei der AOK Nordost bereits einen finanziellen Schaden im sechsstelligen Bereich verursacht. Auf das Jahr verteilt, könnte ein Schaden im Millionenbereich entstehen.

„Ganz abgesehen davon, dass es sich beispielsweise bei Ozempic um ein Arzneimittel handelt, bei dem seit November 2023 immer wieder Lieferengpässe bestehen, verschärfen solche Betrügereien die ohnehin angespannte Versorgungssituation für die Patientinnen und Patienten“, sagt Julia Möllmann, Beratungsapothekerin der AOK Nordost.

Apotheken riskieren Retax

„Im Normalfall gehen Rezeptfälschungen selten zu Lasten der abgebenden Apotheken“, heißt es von der Kasse. „Sollten Apotheken jedoch fahrlässig offensichtlich gefälschte Rezepte abrechnen, behält sich die AOK Nordost vor, diese Rezepte zu retaxieren.“

AOK prüft Verordnungen

Gegen die Betrugswelle bleibt die Kasse nicht untätig. So werden Rezepte aktiv auf Auffälligkeiten geprüft. Beispielsweise, ob verordnende Praxis und Apotheke im gleichen Bundesland sind. Ins Visier der Prüfung fällt auch die Krankenversicherungsnummer, die möglicherweise nicht oder um eine Position erweitert. Außerdem wird die Lebenslange Arztnummer überprüft. „Wir sind aber auch auf Verdachtsmeldungen der Apotheken angewiesen“, sagt Ralf Selle, Beauftragter zur Bekämpfung von Fehlverhalten der AOK Nordost. Die Gesundheitskasse arbeitet bundesweit eng mit den Strafermittlungsbehörden zusammen.

Dürfen oder müssen Apotheken Anzeige erstatten?

Liegt eine Rezeptfälschung in der Apotheke vor, besteht grundsätzlich keine Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige, denn § 17 Abs. 8 ApBetrO fordert nicht die Einbindung Dritter, also auch nicht der Polizei. Müssen also nicht – aber darf die Apotheke die Straftat zur Anzeige bringen, schließlich unterliegen Apotheker:innen der Schweigepflicht? „Diese umfasst alle im Zusammenhang mit der Berufsausübung als Apotheker erlangten Umstände und Kenntnisse und damit auch solche, die im Zusammenhang mit einer Straftat bekannt geworden sind. Auch gefälschte oder manipulierte Daten unterliegen der Schweigepflicht. Der Verdacht einer strafrechtlichen Handlung führt nicht zum Wegfall derselben“, informiert die Apothekerkammer Berlin.

Was gilt in puncto Schweigepflicht?

Verstoßen Apotheker:innen gegen die Schweigepflicht, werden sie selbst zu Täter:innen. Strafbar macht sich, wer „unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker [...] anvertraut oder sonst bekannt geworden ist.“

Ob Apotheker:innen eine Fälschung zur Anzeige bringen, sollte laut Kammer gut abgewogen werden. „Wurde das Arzneimittel nicht abgegeben, darf der Apotheker potenzielle Rezeptbetrüger nicht melden.“

Wurde das Rezept jedoch beliefert und ist dadurch ein Schaden entstanden, beispielsweise weil die Apotheke retaxiert wurde und ist der entstandene Schaden für die Apotheke nicht nur geringfügig, kann Anzeige erstattet werden. Ebenso wenn Dritte geschädigt werden, weil beispielsweise mit den mittels Fälschung beschafften Arzneimitteln gedealt wird. Ist dies der Fall, könne dies dazu führen, dass das Persönlichkeitsrecht der „Kund:innen“ an der Geheimhaltung der Daten als nachrangig gegenüber den anderen schützenswerten Gütern (Leib, Leben und Gesundheit Dritter) betrachtet werden. „In diesen Fällen kann ein Bruch der Schweigepflicht gerechtfertigt sein“, so die Kammer und rät im Falle einer Anzeige, das Vorgehen mit dem/der betroffenen Ärzt:in abzustimmen.

Andere Apotheken warnen erlaubt?

Auch hier kommt die Schweigepflicht ins Spiel. Das Rezept kopieren und per Fax oder Mail an die umliegenden Kolleg:innen schicken, ist nicht erlaubt. Hinweise darüber, welches Arzneimittel „verordnet“ ist und woran die Fälschung zu erkennen ist, dürfen allerdings weitergeleitet werden.

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