HIV und Schwangerschaft Alexandra Negt, 05.10.2020 12:40 Uhr
Seit der Erstbeschreibung des HI-Virus im Jahr 1983 hat sich viel in der antiretroviralen Therapie getan. Neben der PEP und der PrEP folgen bald langwirksame Formulierungen, die nur noch alle paar Wochen injiziert werden müssen. Bei HIV-positiven Frauen geraten Ärzte und Apotheker bei der Behandlung innerhalb der Schwangerschaft immer noch häufig in den Off-lable-Bereich – die meisten Medikamente sind an Schwangeren nicht getestet. Dennoch kann und sollte eine Therapie erfolgen. Bei einer geringen Viruslast ist dann beispielsweise auch eine natürliche Geburt möglich.
Noch immer herrschen Vorurteile und Wissenslücken im Bereich HIV und Aids. Es handelt sich trotz vermehrter Aufklärung oft noch um Tabuthemen. Dabei hat sich in den letzten Jahren viel getan innerhalb der HIV-Therapie. Zahlreiche Medikamente werden aufgrund besser verträglicherer und wirksamerer Alternativen vom Markt genommen. Einige Pharmaunternehmen forschen aktuell an Injektionsspritzen, die nur noch einmal monatlich oder sogar noch seltener verabreicht werden müssen. Hier ist vor allem der Wirkstoff Cabotegravir zu nennen. Auch bei der Präexpositionsprophylaxe hat sich einiges getan. Seit nun rund einem Jahr ist die PrEP Bestandteil der Bundesmantelverträge und somit reguläre Leistung der Krankenkassen. Darüber hinaus gibt es seit zwei Jahren HIV-Selbsttests in der Apotheke zu kaufen.
Auch innerhalb der Behandlung von Schwangeren mit HIV hat sich einiges getan. Bis vor einigen Jahren galt ein geplanter Kaiserschnitt als Muss bei der Entbindung. Mittlerweile können die Schwangeren, die medikamentös gut eingestellt sind, sodass die Viruslast stark gesenkt ist, auch auf natürlichem Wege ihr Kind bekommen. Eine Ansteckung ist nicht zu befürchten. Um eine Übertragung während der Schwangerschaft und der Geburt zu verhindern, ist die regelmäßige Einnahme der verordneten HIV-Medikamente während der gesamten neun Monate notwendig. Bei regelmäßigen Kontrollterminen in der gynäkologischen Praxis oder in einer HIV-Schwerpunktpraxis kann die Viruslast kontrolliert werden.
Früher wurde das Neugeborene nach der Geburt mit antiretroviralen Medikamenten behandelt. Eine Gabe von Zidovudin (Azidothymidin, AZT) gehörte lange Zeit zum Behandlungsstandard. Zidovudin wurde im Jahr 1987 als erstes Aids-Medikament zugelassen. Mittlerweile sieht man von dieser Sofortbehandlung des Säuglings ab, insofern die Mutter vor und während der Geburt eine wirksame antiretrovirale Behandlung erhalten hat. Ist dies nicht der Fall, so bekommt das Baby in der Regel bis zu einem Monat ein antiretrovirales Medikament.
In der vergangenen Zeit kam es immer wieder zu neuen Erkenntnissen darüber, dass gewisse antiretrovirale Therapien nicht bei Schwangeren eingesetzt werden sollten, dabei ist eine lückenlose Behandlung während der neun Monate für das Kind sehr entscheidend. Für Dolutegravir und Darunavir wurden Rote-Hand-Briefe veröffentlicht. 2018 zeigte die Phase-IIIb-Studie zur Kombination Darunavir und Cobicistat ein Therapieversagen in der Schwangerschaft.
Im Ergebnis kam es bei einigen Frauen zu einem erhöhten Risiko einer Virusübertragung während der Schwangerschaft. Über Möglichkeiten und den aktuellen Stand der Wissenschaft können Apotheker und PTA sich auf Informationsportalen wie Embryotox informieren. Im Antiretroviral Pregnancy Registry (APR) werden ebenfalls Daten zu HIV-Therapien in der Schwangerschaft zusammengetragen.
Eine optimale Betreuung der schwangeren Frau ist wichtig. Neben den normalen Fragen zu Schwangerschaft, mit Themenschwerpunkten Ernährung, Supplementierung von Nährstoffen (v.a. Folsäure) und Sport, sollten auch HIV-spezifische Themen angesprochen werden. So kommen einige Erkrankungen bei HIV-positiven Frauen häufiger vor. HIV-seropositive Frauen leiden viermal häufiger unter einer Depression als Seronegative. Innerhalb der Selbstmedikation sollten Apotheker und PTA eher an den Arzt verweisen. Viele pflanzliche Mittel, darunter beispielsweise Johanniskraut, weisen zahlreiche Wechselwirkungen auf. Um die Frau als Patientin nicht zu verlieren, müssen Arzt und Apotheker Hand in Hand arbeiten. Es kann sein, dass die Patientinnen eines Tages nicht mehr in der Praxis erscheinen. Die Gründe können vielfältig sein. Häufig sind Überforderung und Scham Teilfaktoren, die zu einer abgebrochenen Therapie beitragen.
Wichtig zu wissen: Auch wenn die Therapieoptionen immer besser werden und zahlreiche spezialisierte Zentren den Patienten ganzheitlich betreuen können, so wissen über 10 Prozent der Infizierten noch nichts über ihre Erkrankung. Schätzungen des Robert Koch Institutes aus dem Jahr 2018 gehen von einer Zahl von rund 10.600 Personen aus, die ihre Diagnose noch nicht kannten. Das Problem ist, je länger die Infektion unbemerkt und unbehandelt bleibt, desto höher die Viruslast. Das RKI gibt an, dass bei einem Drittel der Neudiagnosen aus 2018 bereits ein fortgeschrittener Immundefekt vorlag.