Medizinisches Einwegprodukt

Blutegel: Zeitgemäße Ergänzung in der Schmerztherapie? Katharina Brand, 03.09.2024 11:35 Uhr

Die Therapie mit Blutegeln ist nicht unumstritten. Foto: Sergej Chirkow/stock.adobe.com
Berlin - 

Arthrose, Gelenk- oder Rückenschmerzen: Nach wie vor werden Blutegel bei einer Vielzahl von Erkrankungen eingesetzt. Trotz ihrer medizinischen Historie und einiger positiver Berichte wird der therapeutische Nutzen der Ektoparasiten in der modernen Medizin und Wissenschaft kritisch betrachtet. Ein Überblick.

Blutegel sind Ektoparasiten, die sich von tierischen Proteinen ernähren. In Deutschland wird ausschließlich der medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis) für Therapiezwecke verwendet. Das Tier ist etwa fünf Zentimeter lang und hat einen dunkelbraunen bis schwarzen Rücken. Auffällig ist sein grünlich gefärbter Bauch und die roten Bänder und Punkte an seinen Seiten.

Therapieformen

Die Blutegeltherapie ist eine der ältesten Therapieformen weltweit. Schon im alten China, Indien und Europa wurden sie erfolgreich eingesetzt, insbesondere in der Tradition der Ausleitungstherapien wie Schröpfen und Cantharidenpflaster.

Der Vorteil: Als wechselwarme Tiere reagieren Blutegel sensibel auf Temperaturunterschiede und beißen instinktiv in entzündete, warme Stellen. In der Naturheilkunde werden sie bei verschiedenen Beschwerden wie Varikosis, Hämorrhoiden, Arthrosen und Kopfschmerzen eingesetzt. In der Chirurgie dienen sie zur Behandlung von Lymphödemen und zur Verbesserung der Durchblutung nach Lappenplastiken (operative plastisch-chirurgische Techniken).

Anwendung

Die Blutegel werden mit einem Holzspatel aus ihrem Wasserglas in ein kleines Gefäß gesetzt und direkt an die gewünschte Stelle gebracht, um ein wahlloses Kriechen zu verhindern. Das Festbeißen verursacht meist nur einen leichten ziehenden Schmerz. Die Blutmahlzeit dauert 1 bis 3 Stunden. Nach dem Abfallen bluten die Bißstellen 8 bis 24 Stunden nach. Der Patient erhält eine sterile Wundauflage und einen saugfähigen Verband. Nach Stillstand der Nachblutung bildet sich ein Hämatom, das nach einigen Tagen verschwindet.

Neben- und Nachwirkungen

Im Zuge der Behandlung können an den Bissstellen Reaktionen wie Juckreiz, Schwellung und Rötung auftreten, die durch die Freisetzung von Substanzen wie Hirudin durch die Blutegel verursacht werden. Zudem besteht die Möglichkeit, dass es zu längeren Blutungen kommt, da Blutegel beim Beißen Antikoagulantien abgeben. Dies kann insbesondere für Personen mit Gerinnungsstörungen oder bei der Einnahme von blutverdünnenden Medikamenten problematisch sein. Auch besteht ein Risiko für Infektionen, insbesondere wenn die Hygienevorschriften nicht sorgfältig eingehalten werden. In seltenen Fällen können allergische Reaktionen auf die Speichelbestandteile der Blutegel auftreten, was sich durch Hautausschläge, Atembeschwerden oder andere Symptome äußern kann.

Bei wiederholter Anwendung oder unsachgemäßer Pflege können kleine Narben entstehen. Zudem sind vorübergehende Hautverfärbungen oder blaue Flecken möglich. Bei intensiver Therapie kann es zusätzlich zur Erschöpfung oder Schwäche kommen, insbesondere wenn größere Mengen Blut entnommen werden.

Haltbarkeit und Entsorgung

Blutegel halten sich bei optimaler Lagerung bis zu sieben Tage, bei Versand und Temperaturen von 5-18 °C nur vier Tage. Nach einmaligem Gebrauch müssen sie getötet und entsorgt oder an den Hersteller zurückgegeben werden. Zum Töten eignen sich Einfrieren bei -18 °C für mindestens 12 Stunden oder hochprozentiger Alkohol. Die Entsorgung erfolgt gemäß den Vorschriften für medizinischen Abfall; Kleinmengen können im Restmüll entsorgt werden. Achtung: Ein Aussetzen in die Natur ist wegen der Übertragungsgefahr von Krankheitserregern nicht erlaubt.

Bis Oktober 2006 war es noch erlaubt, Blutegel nach ihrer medizinischen Anwendung in sogenannte Rentnerteiche zu setzen. Dann veröffentlichte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte neue Richtlinien für den Umgang mit therapeutisch eingesetzten Blutegeln. Diese Richtlinien führten zu einem Verbot der Anlage und des Betriebs von Rentnerteichen, da die Gefahr bestand, dass infiziertes Blut aus diesen Teichen in die Umwelt gelangte. Infolgedessen mussten Therapeuten die einmal eingesetzten Blutegel töten.

Aufgrund der Kritik von Therapeut:innen und Patient:innen an diesem Verbot wurde 2015 ein Kompromiss gefunden. Der Betrieb der Teiche wurde unter bestimmten Auflagen wieder erlaubt. Nun müssen die Blutegel acht Monate in Quarantäne verbringen, bevor sie in den Teich eingesetzt werden dürfen.

Forschungsstand

Noch wird zur Hirudotherapie geforscht. So belegt die Studie von Brown (2018) in „The role of leech therapy in the management of venous congestion after reconstructive surgery“, dass Blutegel den venösen Blutfluss nach rekonstruktiven Operationen erheblich verbessern und Gewebeschäden sowie Komplikationen wie Gewebedegeneration reduzieren können.

Zusätzlich erläutert die Untersuchung von Boeken und Fiebich (2019) in „Hirudin and other bioactive components of leech saliva: Mechanisms of action“, wie die bioaktiven Substanzen im Speichel von Blutegeln, insbesondere Hirudin, die Blutgerinnung hemmen und entzündungshemmende Effekte auslösen, was die therapeutischen Vorteile der Blutegeltherapie erklärt.

In der Behandlung von Osteoarthritis zeigt die randomisierte kontrollierte Studie von Zhao (2020), „Efficacy of leech therapy in osteoarthritis: A randomized controlled trial“, dass die Blutegeltherapie effektiv Schmerzen lindern und die Beweglichkeit der Patient:innen verbessern kann.

In Bezug auf die Sicherheit bietet die Übersichtsarbeit von Patel und Sanchez (2022), „Safety and adverse effects of leech therapy: A comprehensive review“, eine umfassende Bewertung der Therapie und bestätigt, dass sie im Allgemeinen sicher ist, obwohl Nebenwirkungen wie Infektionen und allergische Reaktionen auftreten können.

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