Tilray: „Auch wir haben auf die Änderungen reagiert“ Alexandra Negt, 15.05.2020 14:56 Uhr
Am 1. April 2020 wurden Änderungen zur Cannabispreisverordnung bekanntgegeben. Je nachdem, um was für eine Rezeptur es sich handelt, werden der Taxierung unterschiedliche Regelungen zugrunde gelegt. So wurde für die Abgabe von unverarbeiteten Blüten beispielsweise ein einheitlicher Grammpreis festgelegt. Apotheken und auch der Verband der cannabisversorgenden Apotheken (VCA) kritisieren die neuen niedrigen Abgabepreise. Der Hersteller Tilray reagiert auf die Preisänderungen ebenfalls überrascht. Die neuen Vorgaben seien komplex – doch nicht immer müsste die Apotheke auf einen großen Differenzbetrag verzichten. Tilray möchte über Fehlerquellen bei der Taxierung aufklären und kündigt gleichzeitig eine Sortimentserweiterung an.
Den Hersteller Tilray überraschten die Preisänderungen für cannabishaltige Zubereitungen ebenso sehr wie die Apotheker selbst: „Dass neue Preise kommen werden, war uns klar, jedoch hatten wir sicherlich nicht mit solch einer Umsetzung gerechnet“, betont Sascha Mielcarek, Managing Director für Tilray Europa. Die Staffelpreise hält er nicht für sinnvoll: „Die meisten Verschreibungen, so können wir aus unserer Erfahrung berichten, enthalten größere Abgabemengen. Das macht ja auch Sinn. Nachdem der Patient gut eingestellt wurde, können durchaus größere Mengen Cannabis verordnet werden. Die festgelegten Staffelpreise bei Blüten sind daher aus unserer Sicht nicht sehr praxisorientiert.“
Gestaffelte Fixzuschlägewerden Aufwand nicht gerecht
Der anfängliche Mehraufwand bei der Versorgung eines Cannabispatienten sei laut Mielcarek schon gegeben, dennoch dürften die Unterschiede bei den gestaffelten Fixzuschlägen nicht so groß sein. Bei Verordnungen über Cannabisblüten bis 15 Gramm beträgt der Fixzuschlag pro Gramm 9,52 Euro, bis 30 Gramm dann nur noch 3,70 Euro. Bei noch größeren Mengen kann die Apotheke nur noch 2,70 Euro pro Gramm als Fixzuschlag taxieren. Praktisch bedeutet das: Bei einer Verordnung von 30 Gramm wird ein ungefährer Gesamtpreis von 577 Euro erzielt. Der Fixzuschlag für die ersten 15 Gramm liegt bei 142,80 Euro, der für die zweiten 15 Gramm bei 55,50 Euro.
Bei Extrakten weniger Einbußen
Bei Extrakten ist die Preisgestaltung anders, da hier mit dem tatsächlichen Einkaufspreis taxiert werden kann. „Mir ist es ein Anliegen, mit eventuellen Missverständnissen im Rahmen der neuen Preiskalkulation aufzuräumen.“ Hier spricht er erste Reaktionen von Apothekern an, die bemängeln, dass bei der Abgabe von unverarbeiteten Vollspektrum-Extrakten auf hohe Beträge verzichtet werden müsste. „Die Angabe von bis zu 50 Euro pro abgefülltem Tilray-Extrakt, die die Apotheke nun weniger berechnen kann, scheint mir auf einem Missverständnis zu fußen.“
Bei der Taxierung von Extrakten können Apotheken, im Gegensatz zu Blüten, mit dem tatsächlichen Einkaufspreis rechnen. Das heißt, wird ein Extrakt für 7 Euro pro Milliliter eingekauft, so kann dieser Preis auch für die Berechnung herangezogen werden. Für die weiteren Zuschläge wird dann mit dem Betrag von 4,85 Euro pro Milliliter bis zu einem Maximalbetrag von 80 Euro gerechnet. Bei dem theoretischen Einkaufspreis von 7 Euro ist bei rund 11 Millilitern die Obergrenze von 80 Euro erreicht. Die noch fehlende Volumenmenge wird dann mit 8,4 Prozent des Einkaufspreises pro Milliliter berechnet – nicht mit 4,85 Euro. „Die Apotheken können bei Extrakten also mit ihrem wirklichen Einkaufspreis kalkulieren. Das ist ein Vorteil gegenüber den Blüten.“
Cannabis als Handwerk: Qualität hat ihren Preis
Mielcarek weiß, dass seine Firma nicht alle Blüten zu dem abrechnungsfähigen Preis von 9,52 Euro pro Gramm anbietet und teilweise auch nicht anbieten kann. „Der Preis hat auch immer etwas mit Qualität zu tun. Bei unserer Blüte mit einem THC-Gehalt von 25 Prozent können wir diesen Preis nicht mitgehen. Die Blüte ist in ihrem THC-Gehalt einzigartig auf dem deutschen Markt“, erklärt er. Um am Ende so hohe Gehaltswerte erreichen zu können, müsse man viel Arbeit in Anbau und Qualitätssicherung stecken. „Eine Preisspirale nach unten kann weder im Interesse des Kunden noch im Interesse der Krankenkassen sein, wenn man näher über die Thematik nachdenkt.“ Mielcarek verweist damit auf die Gefahr einer „Dumpingspirale“, bei der schlussendlich die medizinische Versorgung des Patienten leidet.
Tilray ist der Meinung, dass Cannabis ein ganz besonderes Rezepturarzneimittel ist. Zum einen unterliegt es der BtM-Pflicht, zum anderen ist die Versorgung von Patienten mit Medizinalhanf noch relativ jung. „Wir sind der Meinung, dass für die Cannabis-Versorgung insbesondere zu Beginn der Therapie pharmazeutische Kompetenz benötigt wird. Wir plädieren dafür, die Taxierung so zu gestalten, dass die Cannabisblüten und -Extrakte weiterhin als Rezeptursubstanzen angeboten werden können.“ Um den besonderen Anforderungen, wie der patientenindividuellen Beratung und Herstellung oder der Identitätsprüfung, Rechnung zu tragen, sei es wichtig, das Feld der Cannabis-Versorgung in den Apotheken rentabel zu halten. „Unser Unternehmen möchte weiterhin sinnvoll mit den Apotheken zusammenarbeiten. Hierzu gehört auch ein Preis, mit dem Apotheken wirtschaften können. Dennoch muss allen Beteiligten klar sein, dass Qualität immer etwas mit dem Preis zu tun hat – auf allen Ebenen, nicht nur beim Händler.“
Tilray wünscht sich stärkeren Dialog mit Apotheken
Tilray wird auf die neue Preisverordnung gleich doppelt reagieren: Zum einen hat der Hersteller ab Ende April die Preise für seine Produkte gesenkt, bei der ausbalancierten Cannabissorte sogar um ungefähr 14 Prozent. Zum anderen wird Tilray sein Sortiment erweitern. „Zu unseren Cannabisblüten, die wir aktuell im Sortiment haben, werden weitere Sorten mit einem THC-Gehalt zwischen 17 und 22 Prozent hinzukommen. Diese Sorten führen wir gleich mit einem angepassten, erstattungsfähigen Preis ein.“ Mielcarek betont, dass Tilray gerne mit Apotheken in den Dialog treten möchte, um über die neuen Preise und weitere Konditionen sprechen zu können. „Wir wollen uns als Unternehmen so transparent wie möglich zeigen.“
Aufwand für die Apotheke so gering wie möglich halten
Weiterhin versucht der Hersteller, den anfallenden Aufwand für die Apotheke zu verringern. Als ein Beispiel von vielen nennt Mielcarek den seit November 2019 beigelegten THC-Schnelltest beim Vollspektrum-Cannabisextrakt THC25. „Mit diesem Test kann die zeitaufwendige DC im Rahmen der Identitätsprüfung entfallen. Wir versuchen, den Umgang mit den Vollspektrum-Cannabisextrakten für Apotheken immer weiter zu erleichtern.“ Dazu gehört auch die Lagerfähigkeit bei Raumtemperatur. Das Unternehmen hatte fortlaufend Stabilitätsdaten erhoben, sodass eine Lagerung der Vollspektrum-Extrakte bei Raumtemperatur bis maximal 25°C als geeignet festgelegt werden konnte. Da die Produkte dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) unterliegen, müssen sie unter Verschluss gelagert werden. Die Vollspektrum-Extrakte können durch die angepasste Lagertemperatur zusammen mit den restlichen cannabishaltigen Produkten im Tresor gelagert werden. Ein abschließbarer Kühlschrank ist nicht mehr nötig.
Kassen und Apotheker-Vereine wollen Apotheken unterstützen
Da die neuen Preisregelungen vorerst nicht in den Systemen hinterlegt sind, müssen die Apotheken übergangsweise per Hand taxieren. Mielcarek ist sich bewusst, dass dies besonders für die Apotheken eine Herausforderung darstellt, die nur selten cannabishaltige Rezepturen abgeben. „Für die erleichterte Taxierung hat der GKV-Spitzenverband ein Dokument mit Beispielrechnungen veröffentlicht. Das könnte einige Apotheker sicherlich bei der Preisbildung unterstützen.“ Zunächst erscheinen die Regelungen sehr komplex, da sie je nach Darreichungsform unterschiedlich sind. Dennoch möchte das Unternehmen noch einmal betonen, dass sich die vereinheitlichten, erstattbaren Einkaufspreise nur auf Cannabisblüten beziehen. Bei der Abgabe von unveränderten Extrakten und Extrakten in Zubereitungen wird der tatsächliche Einkaufspreis als Berechnungsgrundlage genommen. Auch der Berliner Apotheker-Verein reagierte schnell auf die neuen Preisbildungen und schickte per Rundmail eine Excel-Tabelle, die die Apotheken bei der Berechnung unterstützt. Mielcarek hofft, dass Retaxierungen durch Fehler bei der Preisbildung nicht erfolgen werden. „Leider kamen die Änderungen sehr überraschend und eventuell auch zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Während der Pandemie haben viele Apotheken andere Sorgen.“