Medizinalcannabis: Keine Angst bei Polymedikation Hanna Meiertöns, 03.06.2023 08:39 Uhr
Die Therapie mit cannabinoiden Arzneimitteln (CAM) hilft vielen Palliativpatient:innen. Diese Patientengruppe erhält in der Regel eine Polymedikation, häufig eine bunte Mischung aus den verschiedensten Wirkstoffgruppen. Dieser ein weiteres Arzneimittel hinzuzufügen weckt häufig erstmal einmal Skepsis bei vielen Mediziner:innen. Das ist laut Prof. Dr. Thomas Herdegen nicht notwendig, wie er auf dem 4. Medicinal Cannabis Congress (MCC) in Berlin erläuterte.
Bei Mediziner:innen und auch in den Apotheken ist die Sorge um Wechselwirkungen immer ein steter Begleiter. Auch bei der Therapie mit CAM unter Polymedikation stellt sich die Frage nach der Veträglichkeit, Herdegen ging daher in seinem Vortrag auf dem MCC auf das Interaktionspotential ein: Bei einer oralen THC-Therapie in Form von Kapseln, Extrakten oder Tabletten seien bei einer Dosis von unter 30 mg am Tag laut Herdegen keine Arzneimittelinteraktionen zu befürchten. Bei CBD sogar erst ab 300 mg am Tag, so der stellvertretende Direktor am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.
Auch bei oralen Dosen über 30 mg THC beziehungsweise über 300 mg CBD pro Tag und der inhalativen Therapie müssten nicht zwingend Arzneimittelinteraktionen auftreten, so Herdegen, aber das Potenzial sei vorhanden. THC und CBD werden zu einem großen Teil über das Leberenzym CYP3A4 abgebaut beziehungsweise inaktiviert.
Interaktionen mit CYP3A4
Daher gelte es in diesen Fällen die Therapie langsam einzuschleichen und dabei die Patient:innen genau zu beobachten. Besonders anfällig sind laut dem Mediziner zum Beispiel das Immunsuppressivum Ciclosporin und der Blutgerinnungshemmer Phenprocoumon. Wie viele andere Arzneistoffe werden auch diese über CYP3A4 verstoffwechselt und könnten in ihrer Wirkung entsprechend verstärkt werden, wenn das Enzym bereits für den Abbau von THC bzw. CBD in Anspruch genommen wird.
Wie bei allen CYP3A4-abhängigen Arzneistoffen gilt daher auch bei der CAM-Therapie ein strenges Verbot für den Verzehr von Grapefruitsaft und anderen furanocumarinhaltigen Früchten wie Pampelmusen, Pomelo oder Bitterorangen. Denn Furanocumarin hemmt das CYP3A4-Enzym irreversibel.
„CAM früher einsetzen“
In aktuellen Studien konnte bei den Patient:innen unter CAM-Therapie die Einnahme anderer Opioide um einen großen Teil reduziert werden. Auch ist die Toleranzentwicklung nach aktuellen Erkenntnissen nur sehr gering bis gar nicht vorhanden, so Herdegen. Besonders bei den Cannabisblüten sei eine hohe Verträglichkeit beobachtet worden.
Aufgrund der Erkenntnisse sollten CAM laut Herdegen daher „schon als zweite oder dritte Wahl“ eingesetzt werden und nicht zu einem so späten Zeitpunkt in der Therapie, wie es aktuell noch bei vielen Patient:innen der Fall sei.