Wie viele Arbeitsschritte müssen in der Apotheke hinzukommen, damit Dronabinol noch als Rezepturarzneimittel abgegeben werden kann? Das Prüfen, Umfüllen und Beschriften genügt laut Verwaltungsgericht Düsseldorf (VG) nicht. Die Richter stuften das Set von Caelo als Fertigarzneimittel ein und untersagten damit das Inverkehrbringen.
„Die Verlagerung einfachster Herstellungstätigkeiten wie das Prüfen, Umfüllen und Kennzeichnen des Produkts auf die Apotheke führt nicht zum Eingreifen des Rezepturprivilegs“, lautet der wesentliche Leitsatz des Urteils vom 25. Oktober. Stattdessen unterliege Dronabinol als Fertigarzneimittel der Zulassungspflicht nach Arzneimittelgesetz (AMG). Dies gelte insbesondere, weil es nach der Herstellung in einem industriellen Verfahren „in der zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Darreichungsform und Zusammensetzung in den Verkehr gebracht und durch die Apotheke nicht mehr in seiner Substanz verändert wird“.
Vor zwei Jahren hatte die Bezirksregierung Düsseldorf angekündigt, das weitere Inverkehrbringen der Dronabinol-Lösung gebührenpflichtig zu untersagen. Caelo hatte argumentiert, die an die Apotheken ausgelieferte Dronabinol-Lösung eigne sich nicht zur Abgabe an den Endverbraucher, sondern sei zur Herstellung einer individuellen Rezeptur durch die Apotheke bestimmt. Bevor diese an Patientin oder Patient abgegeben werden könne, müsse diese in ein Glasgefäß mit kindergesichertem Verschluss sowie Etikettierung und Beilage einer Dosierhilfe, jeweils entsprechend DAC/NRF 22.8, umgefüllt werden.
Doch die Aufsicht ließ sich nicht überzeugen und untersagte den weiteren Vertrieb unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 100 Euro je Packung. Caelo wehrte sich vor Gericht und konnte im Eilverfahren zumindest den sofortigen Vollzug noch abwenden.
Im Hauptsacheverfahren unterlag der Hersteller jetzt allerdings. Das Verwaltungsgericht befand, dass der für die Verbrauchsfertigkeit wesentliche Herstellungsschritt bereits beim Lieferanten und nicht erst in der Apotheke stattfinde: „Die Verbrauchsfertigkeit ist jedenfalls dann herbeigeführt, wenn das Arzneimittel in der zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Darreichungsform und Zusammensetzung in den Verkehr gebracht und durch die Apotheke nicht mehr in seiner Substanz verändert wird.“ Sich hieran anschließende weitere Schritte wie das Abfüllen und Umverpacken änderten daran nichts. Aus demselben Grund handele es sich auch nicht um ein Defekturarzneimittel.
Einschlägig ist § 4 Arzneimittelgesetz (AMG): „Fertigarzneimittel sind Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden oder andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden.“
Laut VG ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, dass ein Fertigarzneimittel auch ein solches sein kann, das „zubereitet“ wurde, für das aber noch nicht alle weiteren Herstellungsschritte wie „Abfüllen“ oder „Abpacken“ vorgenommen wurden. Denn wenn zunächst ausdrücklich von einem Inverkehrbringen „in einer zur Abgabe an Verbraucher bestimmten Packung“ die Rede sei, könne die zweite Erklärung nur bedeuten, „dass eine zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Packung insoweit jedenfalls nicht erforderlich ist“.
Ausschlaggebend seien aber insbesondere Sinn und Zweck der Zulassungspflicht, nämlich der Schutz der Arzneimittelsicherheit zur Gewährleistung der Verbrauchergesundheit. „Diese stellt der Gesetzgeber je nach Art der Herstellung sicher.“
Fertigarzneimittel würden von gerade nicht industriell und im Voraus hergestellten Rezepturarzneimitteln abgegrenzt, die im Einzelfall auf besondere Anforderung oder Verschreibung gefertigt würden. „Der Gesetzgeber sieht ein besonderes Risiko bei Arzneimitteln, die ohne Rücksicht auf einen konkreten Krankheitsfall für eine beliebige Zahl von Fällen hergestellt werden.“
Jede andere Auslegung würde laut Gericht zu „Schutzlücken“ führen. „Würde die Verlagerung einfachster Herstellungstätigkeiten in die Apotheke bereits unter das Rezepturprivileg fallen, würde der für die industrielle Herstellung vorgesehene Schutzmechanismus obsolet. Es wäre möglich, nicht zugelassene Arzneimittel oder sogar solche, deren Zulassung auf Grund schädlicher Wirkungen widerrufen wurde, durch bloßes Umfüllen oder Abpacken zur zulassungsfreien Apothekenrezeptur umzudeklarieren. Dies hätte eine erhebliche Gefährdung der Arzneimittelsicherheit und der Gesundheit der Patienten zur Folge.“
Unerheblich sei die Kennzeichnung durch den Hersteller, da es nicht nur auf dessen verschriftlichten subjektiven Willen ankomme. Unter objektiven Gesichtspunkten sei von einem Fertigarzneimittel auszugehen, da die Dronabinol-Lösung bereits in der Darreichungsform und Zusammensetzung herstellt werde, in der sie später an eine unbestimmte Vielzahl von Verbrauchern abgegeben werde: „Die Lösung wird in ihrer Substanz nicht mehr von der Apotheke verändert. Die Apotheke kann allenfalls aufgrund der Verwendung des Test-Kits entscheiden, dass sie das Produkt mangels Wirksamkeit nicht an Verbraucher abgibt.“
Theoretisch könnte die Apotheke das Produkt auch verdünnen, aber dafür seien keine Anwendungsfälle in der Praxis bekannt. „Dementsprechend hat die Apotheke keinerlei Einfluss auf die Zusammensetzung, Qualität und Wirkweise des Produkts. Insofern liegt das gesamte arzneimittelspezifische Risiko der Herstellung bei der Klägerin, sodass der Herstellungsprozess durch eine arzneimittelrechtliche Zulassung abgesichert werden muss.“
Keine Rolle spiele, dass die Apotheke die Dronabinol-Lösung überprüfe: Dies sei nach § 6 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) kein Schritt der Herstellung: „Arzneimittel, die in der Apotheke hergestellt werden, [sind] nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln herzustellen und zu prüfen.“ Im Übrigen würden auch Fertigarzneimittel stichprobenartig überprüft. Umgekehrt könne Caelo durch die „überobligatorische Testvorgabe“ das arzneimittelrechtliche Risiko gar nicht vollständig auf die Apotheke auslagern.
Auch das Umfüllen in ein Gefäß mit Kindersicherung und Dosierhilfe sei keine Besonderheit, denn die Apotheke könnte die Lösung auch ohne die Durchführung abgeben: „Das Anbringen eines kindergesicherten Verschlusses in der Apotheke vor der Abgabe der Dronabinol-Lösung an den Endverbraucher ist nicht zwingend notwendig, wenngleich es aus fachlicher Sicht sinnvoll sein mag.“ Eine rechtlich bindende Auflage des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gebe es nur für Benzomorphanderivate, natürliche Opiumalkaloide und Opioide. Dazu zähle Dronabinol nicht.
Es gebe auch keine Notwendigkeit, die Lösung wegen etwaiger betäubungsmittelrechtlich zulässiger Abgabemengen umzufüllen. Eine Verordnungshöchstmenge sei für Dronabinol betäubungsmittelrechtlich nicht mehr vorgeschrieben. „Insofern käme jedes von der Klägerin verwendete Gefäß (10 bis 200 ml) auch zur Abgabe an Verbraucher in Frage.“
„Sofern nach DAC/NRF 22.8 die Zugabe eines kindergesicherten Verschlusses erforderlich ist, hat diese Vorgabe keine gleichwertige rechtliche Verbindlichkeit“, heißt es im Urteil weiter. Auch einer Einschätzung des Deutschen Apothekerverbands (DAV) komme keine Bedeutung zu, da dieser keine rechtsverbindlichen Entscheidungen treffen könne.
Auch aus der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) lasse sich nichts herleiten, da diese zwar an die Definitionen des AMG anknüpfe, jedoch nicht maßgeblich für deren Auslegung sein könne. „Ein Anwendungsbereich verbleibt für Fälle, in denen Wirkstoffe selbst ausnahmsweise ohne jegliche Be- oder Verarbeitung auch als Arzneimittel verwendet werden können (dual use).“
Dass in Berlin das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) eine gleichwertige Dronabinol-Zubereitung als Rezeptur eingestuft habe, sei unerheblich, da die Bezirksregierung eigenverantwortlich entscheide. Und dass die Behörde selbst im Fall von Opiumtinktur die Eigenschaft als Rezepturarzneimittel bescheinigt habe, spiele ebenfalls keine Rolle für Dronabinol: „Dabei ist bereits zweifelhaft, inwiefern diese Aussage rechtliche Verbindlichkeit erlangt haben könnte. Jedenfalls bezieht sie sich auf ein anderes Produkt.“