Friedens- statt Genehmigungspflicht

Cannabis: „Ärzten haben Angst vor horrenden Regressen“ Sandra Piontek, 23.07.2024 11:41 Uhr

„Auf den ersten Blick ist die großzügige Auswahl, die der GB-A getroffen hat ,sehr erfreulich“, betont Neubaur. Aber: „Die Angst der Ärzte vor Regressen mit horrenden Summen bleibt bestehen.“ Foto: VCA
Berlin - 

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat auch Allgemeinmediziner in die Liste der Fachgruppen aufgenommen, die medizinisches Cannabis ohne Genehmigungspflicht verordnen können. Theoretisch muss kein Antrag mehr bei der Krankenkasse gestellt werden. „Auf den ersten Blick ist das durchaus positiv“, so Dr. Christiane Neubaur, Vorsitzende des Verbandes der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA). Die Angst der Ärzt:innen vor Regressen mit horrenden Summen bleibt jedoch bestehen. „Das wirkt sich wiederum negativ auf die Verordnungen aus. Am Ende ist wieder der Patient der Leidtragende.“

Die Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) wurde angepasst und Allgemeinmediziner bei der geplanten Regelung zur entfallenden Genehmigungspflicht bei Cannabisverordnungen berücksichtigt. „Auf den ersten Blick ist die großzügige Auswahl, die der G-BA getroffen hat, sehr erfreulich“, betont Neubaur. „Dass Hausärzte mit einbezogen wurden, ist eigentlich positiv zu bewerten.“ Aber: „Die Angst der Ärzte vor Regressen mit horrenden Summen bleibt bestehen“, gibt sie zu bedenken.

Denn: „Die Genehmigungspflicht fällt zwar, aber die Sorge vor Regressen, die Jahre später kommen können und mit hohen Summen belegt sind, bleibt. Deshalb werden viele Verordner doch Anträge stellen, damit sie auf der sicheren Seite sind“, so Neubaur. „Damit ist uns wenig geholfen, denn die Anträge sind wahre Bürokratiemonster. Die Antragsstellung ist wahnsinnig aufwendig und im Vergleich schlecht bezahlt“, so die Expertin. Sie habe schon mit mehreren Ärzten gesprochen, die alle das Gleiche sagten: „Sie sind skeptisch und zurückhaltend, was die Cannabisverordnungen betrifft.“

Das sei auf unterschiedlichen Ebenen bedenklich: „Die Therapiehoheit der Ärzte muss weiterhin geachtet werden. Die Krankenkassen sorgen aber für Verunsicherungen. Ein Verordner, der schon Opfer von Regressen geworden ist, wird sich gut überlegen, ob er ohne Antrag Cannabis verordnet“, so Neubaur. Die geforderten Summen, die aufgrund von Regressen zurückgefordert werden, sind horrend: „Es sind ganz schnell Beträge in Höhe von 25.000 Euro und mehr.“

Am Ende sei wieder der Patient das Opfer. „Es war unsere große Hoffnung, dass mit der Änderung der Genehmigungspflicht, das Ausweichen auf Telemediziner:innen ein Ende hat“, so Neubaur. „Die Onlineverordner sind grundsätzlich keine Vertragsärzte und verschreiben Cannabis auf Privatrezepten. Das müssen die Patienten selbst bezahlen“, gibt sie zu bedenken. „Jemand, der sich das nicht leisten kann und zudem keine Verschreibung von seinem Hausarzt erhält, wird in den Schwarzmarkt getrieben oder baut womöglich selbst an.“ Das sei vor allem im Hinblick auf die fehlende medizinische Begleitung bedenklich: „Medizinisches Cannabis gehört keinesfalls in die Selbstmedikation“, so Neubaur. „Die Therapie muss ärztlich begleitet werden.“

Probleme sieht sie in den Apotheken auch beim Wirtschaftlichkeitsgebot: „Medizinisches Cannabis ist vorrangig ein individuelles Rezepturarzneimittel, ausgenommen sind Fertigarzneimittel wie beispielsweise Sativex, das nicht einfach ausgetauscht werden darf“, betont Neubaur. „Apotheken müssen wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots jedoch prüfen, welcher Hersteller der günstigste ist und ob dieser liefern kann. Wegen der aktuellen Lieferengpässe aufgrund der vielen Privatrezepte müssen Apotheken jedoch auf andere Cannabisprodukte ausweichen.“ Das sei aber nur per neuer Verordnung möglich.

Fazit: „Um das Problem der wegfallenden Genehmigungspflicht aufzuweichen müsste, salopp gesagt, eine Regress-Friedenspflicht her“, so Neubaur.