Seit dem 10. März 2017 können sich Patienten medizinisches Cannabis regulär beim Arzt verschreiben lassen. Seit mittlerweile drei Jahren werden Blüten und Extrakte auf erstattungsfähigen Verordnungen verschrieben. Zu Beginn waren nur Blüten in unterschiedlichen Stärken verfügbar. Später folgten auch Extrakte; im Oktober 2017 brachte das kanadische Unternehmen Tilray einen ersten Cannabis-Vollspektrum-Extrakt in pharmazeutischer Qualität auf den deutschen Markt. Ob der Arzt Blüten oder Extrakt verordnet, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Je nach Indikation benötigt der Patient unterschiedliche Dosierungen an Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Auch den weiteren Substanzen der Hanfpflanze werden positive Effekte zugeschrieben.
Als Betäubungsmittel darf Cannabis nur auf BtM-Rezept verschrieben werden. Zulässig ist die Verordnung von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter pharmazeutischer Qualität. Laut Betäubungsmittelverschreibungs-Verordnung (BtMVV) darf der Arzt innerhalb von 30 Tagen bis zu 100 g Cannabis in Form von getrockneten Blüten verschreiben. Bei Extrakten gilt bezogen auf den Gehalt an Δ9- Tetrahydrocannabinol die bisherige Höchstgrenze von 1000 mg. Bei der Auswahl der richtigen Darreichungsform ist das Therapieziel, eine Balance zwischen maximalem therapeutischem Effekt und möglichst geringen unerwünschten Nebenwirkungen zu finden.
Cannabisblüten müssen vor der Abgabe immer als Rezepturarzneimittel verarbeitet werden. Die Art der Verarbeitung sowie die Sorte der Cannabisblüte richtet sich nach der Verschreibung des Arztes. Die Auswahl richtet sich nach dem Beschwerdebild des Patienten. Es gibt Blüten mit hohem oder niedrigerem THC- oder CBD-Gehalt, auch ausgeglichene Sorten sind verfügbar. Weiterhin können die Blüten je nach Verordnung des Arztes entweder zerkleinert oder unzerkleinert abgegeben werden.
Werden die Cannabisblüten zerkleinert abgegeben, werden sie in einer Kräutermühle gemahlen und mit einem Sieb der Größe 2000 gesiebt. Rückstände, die zu groß sind, können erneut zerkleinert und gesiebt werden. Dieser Vorgang wird solange wiederholt, bis praktisch kein Siebrückstand mehr vorhanden ist. Zuletzt wird der Siebdurchgang durchmischt und je nach Verordnung in ein Sammelgefäß oder in Einzeldosen (Pulverkapseln) abgefüllt. Letztlich zählt die Identitätsprüfung oder das Umfüllen bereits als Verarbeitungsschritt.
Werden Cannabisblüten als Tee zubereitet, so werden sie in kochendem Wasser 15 Minuten am Sieden gehalten und anschließend abgeseiht. Damit sich die Wirkstoffe beim Abkühlen nicht an der Gefäßwand ablagern, kann der Tee in einer Thermoskanne aufbewahrt werden. Sollen die Cannabisblüten per Inhalation angewendet werden, muss ein elektrisches Verdampfergerät benutzt werden – die Inhalation des Dampfes nach Zugabe von kochendem Wasser bleibt ohne Wirkung, da die Wirkstoffe erst bei höheren Temperaturen freigesetzt werden.
Im NRF sind vier Herstellungsanweisungen zu Cannabisblüten festgehalten. Neben Cannabisblüten zur Teezubereitung (NRF 22.11.) und Cannabisblüten zur Inhalation nach Verdampfung (NRF 22.12.) existieren zwei weitere Vorschriften für die jeweiligeAbpackung in Einzeldosen: Cannabisblüten in Einzeldosen zu 0,25 g / 0,5 g / 0,75 g zur Teezubereitung (NRF 22.15.) und Cannabisblüten in Einzeldosen zur Inhalation nach Verdampfung (NRF 22.13.).
Im Gegensatz zu den Blüten der Pflanze, die mittels eines Verdampfers inhaliert werden müssen, sind Vollspektrum-Cannabisextrakte, zum Beispiel von Tilray, für die orale Anwendung gedacht. Es handelt sich um Tropfen zum Einnehmen, die ein Rezepturarzneimittel darstellen. Im Vergleich zu inhalierten Cannabisblüten setzt die Wirkung bei oral eingenommenen Cannabisextrakten langsamer ein und hält länger an. Die Wirkung tritt meist nach ungefähr 60 bis 90 Minuten nach der Einnahme ein und hält bis zu zehn Stunden an. Die Wirkdauer hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, beispielsweise von der Art und Menge der Nahrung im Magen zum Zeitpunkt der Einnahme.
Die öligen Lösungen werden zur oralen Einnahme auf einen Löffel gegeben. Um Verluste zu vermeiden, können die Extrakte auch direkt in den Mund getropft werden. Die Dosisfindung kann einige Zeit in Anspruch nehmen, sodass der Patient zu Beginn der Therapie praktisch ausprobieren muss, bei welcher Dosierung er die optimale Wirkung erfährt. Darüber hinaus kann es bei der Einnahme von Cannabisextrakten zu Nebenwirkungen kommen. Je höher die Dosierung, desto stärker können die Nebenwirkungen ausfallen.
Während CBD von den meisten Patienten gut vertragen wird, hängt die Toleranz gegenüber THC von individuellen genetischen Variationen in metabolischen Enzymen gegenüber dem Medikament ab. Deshalb sollten die Titrationspläne schriftlich festgehalten werden – die Dosierung kann nach und nach gesteigert werden. Als Standard wird eine Initialdosis von 2,5 mg THC pro Tag bei Patienten über 18 und unter 70 Jahren angesehen. Die Dosissteigerung sollte abends stattfinden, um eventuell auftretende Nebenwirkungen im Schlaf zu erfahren.
Tilray bietet aktuell zwei verschiedene Vollspektrum-Extrakte an: Tilray Extrakt THC 25 enthält 25 mg THC pro ml und unter 0,5 mg CBD pro ml. Tilray Extrakt THC 10:CBD 10 enthält jeweils 10 mg THC und CBD pro ml. Die Extrakte sind jeweils in einer Packungsgröße von 25 ml erhältlich. Die Haltbarkeit beträgt jeweils neun Monate ab Produktionsdatum.
Vollspektrum-Extrakte enthalten neben THC und CBD alle weiteren Inhaltsstoffe der Cannabisblüte. Die ebenfalls enthaltenen Terpene und Flavonoide sollen sich positiv auf die Verträglichkeit und Wirksamkeit auswirken. Diese Beobachtung wird als Entourage-Effekt bezeichnet. Dieser Effekt besagt, dass ein Pflanzenstoffgemisch eine höhere biologische Aktivität besitzt als die isolierte Reinsubstanz allein.
Die enthaltenen Terpene führen sozusagen zu einem synergistischen Effekt. Bei Terpenen handelt es sich um eine heterogene Klasse aromatischer Chemikalien mit wenigen funktionellen Gruppen. Sie kommen in einer Vielzahl von Pflanzen, Lebensmitteln und ätherischen Ölen vor. In der Hanfpflanze befinden sich die Terpene innerhalb der Trichome, hierbei handelt es sich um haarähnliche Strukturen auf den Oberflächen der Blüten.
Cannabis enthält in der Gesamtkonzentration unter 2 Prozent Terpene – hierzu zählen Substanzen wie Limonen, α-Pinen, α-Humulen und α-Bisabolol. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass Vollspektrum-Extrakte wirksamer sind als rein THC- oder CBD-Öle. Somit ist ein Vollspektrum therapeutisch zu bevorzugen.
Bei den Tilray-Produkten handelt es sich um Cannabisextrakte und -blüten als Bulkarzneimittel – das heißt, sie werden als Rezeptursubstanz in der Apotheke weiterverarbeitet. In der Praxis beutetet dies, dass die Extrakte in der verordneten Menge in ein Abgabegefäß umgefüllt werden. Neben den beiden Hauptwirkstoffen THC und CBD sind alle weiteren Wirkstoffe der Cannabisblüte enthalten. Die Blüten werden, je nach Verordnung, zerkleinert und abgepackt.
Blüten enthalten meist weniger CBD als Extrakte, hier kann die Dosierung individuell angepasst werden und höher ausfallen. CBD ist erst nach erfolgter Decarboxylierung „aktiv“ und kann in vollem Umfang wirken. Bei Extrakten wird das CBD in der Regel beim Herstellungsprozess decarboxyliert. Auch das Auftitrieren am Anfang einer Therapie gestaltet sich für Patienten mit Extrakten meist einfacher – Tropfen lassen sich genauer dosieren als Blüten. Das Verdampfen führt zu einem schnelleren Anfluten der Wirkstoffe im Körper – die Beschwerden werden schneller und effektiv gelindert. Die Wirkung hält mitunter nicht so lange an wie bei Extrakten.
Das schnelle Anfluten steht bei Experten öfter in der Kritik, da ein gleichmäßiger Spiegel erreicht werden sollte. Auch die Art des Inhalierens scheint über die Menge des tatsächlich aufgenommenen Wirkstoffes zu entscheiden: Geübte Raucher inhalieren intensiver – mehr THC und CBD kommt im Körper an. Aus diesen Gründen werden Extrakte häufig bevorzugt.
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