Valproinsäure: Austausch trotz unterschiedlicher Füllmenge Nadine Tröbitscher, 29.03.2017 14:18 Uhr
Aut-idem, Substitutionsausschlussliste oder Off-Label-Use: Apotheken müssen bei der Rezeptbelieferung teilweise die Ausnahmen von den Ausnahmen beachten. Ist Valproinsäure in Tablettenform von der Austauschpflicht ausgeschlossen, gilt für flüssige Zubereitungen der Rabattvertrag der Krankenkasse – auch wenn die Substitution als kritisch angesehen werden kann.
Antiepileptika zählen zu den Präparaten, deren Austausch Risiken in der Behandlung bergen kann. Geringe Dosisveränderungen können klinisch relevante Folgen haben. Daher sind die Wirkstoffe Carbamazepin, Phenobarbital, Valproat und Valproinsäure, Phenytoin sowie Primidon in der Substitutionsausschlussliste Teil B, Anlage VII zur Arzneimittelrichtlinie aufgeführt. Allerdings nur als feste Arzneiformen. Was also tun, wenn der Arzt einen Valproinsäure-haltigen Saft verordnet?
Es liegt eine Verordnung über Orfiril Saft zu 250 ml N2 vor. Das Arzneimittel hat einen Wirkstoffgehalt von 60 mg/ml. Ein Aut-idem Kreuz ist nicht gesetzt. Rabattpartner der Krankenkasse ist jedoch nicht das Original von Desitin sondern das Generikum der Firma Neuraxpharm, in der Konzentration 300 mg/ml in der Packungsgröße 100 ml N2. Verständlich wenn der Kunde Bedenken äußert.
Maßgeblich für das Einhalten des Rabattvertrages ist der Normbereich N2. Das unterschiedliche Füllvolumen und die daraus resultierende unterschiedliche Konzentration sind laut Vertrag unerheblich. Für den Apotheker und den Patienten gilt es die zu verabreichende Menge neu zu berechnen. Die Dosis selbst wird individuell vom Arzt festgelegt. Die mittlere empfohlene Tagesdosis während der Langzeitbehandlung für Kinder zwischen drei und sechs Jahren liegt bei 30 mg/kg. Wiegt das Kind 15 kg muss täglich 450 mg Valproinsäure eingenommen werden.
Waren es von Orfiril 7,5 ml Saft, müssen vom Rabattarzneimittel Valproat-neuraxpharm hingegen nur 1,5 ml eingenommen werden. Das Austauscharzneimittel ist somit fünffach so hoch dosiert wie das bekannte Präparat. Wird die Dosisanpassung nicht beachtet, kann es zu erheblichen Intoxikationen kommen. Symptome können Verwirrtheitszustände, Sedation bis zum Koma oder Muskelschwäche sein. Zudem haben beide Arzneimittel einen unterschiedlichen Geschmack – Desitin verwendet Vanille als Aromastoff und Neuraxpharm setzt auf Orangengeschmack. Für die Compliance der kleinen Patienten kann diese Änderung nicht unerheblich sein.
Auch nach den Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurologie soll bei gut eingestellten Patienten nur substituiert werden, wenn eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung stattgefunden hat. Den Austausch kann in diesem Fall nur der Apotheker verhindern, indem er von der Sonder-PZN 02567024 Gebrauch macht.
Apotheker drucken den Faktor 6 auf die Verordnung: „Nichtabgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels aufgrund Pharmazeutischer Bedenken.“ Ist ein Austausch trotz ausführlicher Beratung nicht möglich und ist die Compliance des Patienten gefährdet, kann die Apotheke eine Einzelfallentscheidung treffen und den Faktor 6 nutzen. Mögliche Gründe können schwierige Indikationen oder Wirkstoffe sein. Sind chronisch Kranke in ihrer Dauermedikation gut eingestellt und könnte eine Substitution die Therapie gefährden, ist ein entsprechender individueller Vermerk mit Datum und Unterschrift auf dem Rezept vorzunehmen. Besondere Patientengruppen, denen der Austausch schwer vermittelbar ist, können ebenso vom Faktor 6 profitieren.