Hilfsmittel

Retaxgrund: Patient zu früh verstorben

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Berlin -

Versorgungsverträge enthalten oftmals Stichtagsregelungen, um die Abrechnung zwischen Kassen und Apotheken zu erleichtern. Das ist sinnvoll, führt im Einzelfall aber zu schwer verständlichen und kaum nachvollziehbaren Konsequenzen: So wurde jetzt eine Apotheke von der Techniker Krankenkasse (TK) retaxiert, weil die Patientin in der ersten Monatshälfte verstorben war. Die volle Monatspauschale für die Inkontinenzversorgung zahlt die TK nämlich nur, wenn der Patient nicht bis zum 15. verstirbt.

Im konkreten Fall hatte eine bei der TK versicherte Patientin am 4. Juli vergangenen Jahres ein Rezept für 34 anatomisch geformte Vorlagen der Größe 6 für mittlere bis schwere Inkontinenz bei der Engelbert Apotheke in Gevelsberg vorgelegt. Die Versorgung mit den Hilfsmitteln erfolgte am Tag darauf. Am 10. Juli 2016 verstarb die schwerkranke Patientin. Der Apotheker rechnete die Versorgung wie gewohnt ab.

Im Februar erhielt die Apotheke jetzt eine Retaxation über 16,60 Euro. „Bitte immer den gültigen Vertrag beachten!“, heißt es da. Der abgerechnete Leistungszeitraum entspreche nicht der gültigen Vertragsvereinbarung. „Der letzte Versorgungsmonat wird nur vergütet, wenn die Versorgung nach dem 15. des betroffenen Monats endet“, lautet die Begründung.

Im § 5 der „Vereinbarung über die Versorgung von Versicherten der TK mit aufsaugenden Inkontinenzhilfsmittel“, findet sich diese Passage. Der erste Kalendermonat wird danach immer voll vergütet. Die Vergütung des letzten Monats hängt vom Sterbedatum ab. Die TK steht zu dieser Stichtagsregelung: „Das ist trotzdem eine faire Regelung, weil mal der Apotheker besser steht und mal nicht.“ Die Regelung sei zur Vereinfachung der Abrechnung erfolgt. Die TK zahlt für diese Hilfsmittel eine Monatspauschale von 15,50 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer, also Brutto knapp 18,50 Euro.

Apotheker Clemens Lux, Filialleiter der Engelbert Apotheke, sieht das völlig anders: „Das ist ein ethisch-moralischer Skandal. Auf den Tod eines Patienten hat doch niemand Einfluss.“ Er kenne zwar den Vertragsinhalt und das TK-Argument der Mischkalkulation. „Dafür gibt es aber hier überhaupt keinen Grund“, so Lux: „Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Apotheken hier Kostenträger und Leistungserbringer zugleich sind.“ Er sei selbst TK-versichert und denke jetzt über seine Mitgliedschaft nach.

Im Oktober 2015 hatte die TK die alten Hilfsmittel-Versorgungsverträge für aussaugende Windeln und Einlagen gekündigt. Seit Februar 2016 gelten die neuen Bedingungen. Die Apotheken konnten dem vertrag beitreten. Die Patienten wurden von der TK darauf hingewiesen, dass sie ihre Inkontinenzartikel auch weiterhin über den bisherigen Anbieter beziehen können – wenn dieser dem neuen Vertrag beitritt.

Der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) kritisierte in einem Rundschreiben im Januar 2016 den neuen TK-Versorgungsvertrag: „Obwohl wir der TK mehrfach auf Bundes- und Landesebene verdeutlicht haben, dass eine qualitativ und quantitativ angemessene Versorgung ihrer Versicherten zu diesen Konditionen kaum möglich ist, war die TK weiterhin nicht bereit, von der deutlichen Absenkung der Monatspauschale abzusehen.“ Dieses Signal sei fatal.

Den Apotheken würde die Möglichkeit zu einer Versorgung der TK-Versicherten ohne Aufzahlung noch weiter eingeschränkt. Nach „langen Gesprächen“ habe man daher entschieden, den Vertrag als „Beitrittsvertrag“ abzuschließen: „So können sie individuell entscheiden, ob Sie an dem Vertrag teilnehmen möchten“, schrieb der AVWL verbunden mit der Aufforderung „sorgfältig zu prüfen“, ob sich unter diesen Umständen eine solche Versorgung „für Ihre Apotheke trägt.“

Ab März gelten für die TK-Versicherten auch neue Verträge für ableitenden Inkontinenzhilfen und intravaginalen Kontinenztherapiesysteme bewerben. Zunächst sollen sie zwei Jahre laufen. 22 Lose hatte die Kasse nach Postleitzahlen ausgeschrieben. Die einzelnen Gebiete umfassen beispielsweise Schleswig-Holstein, Hessen Mitte oder Sachsen/Sachsen-Anhalt. Die Kasse wies in der Ausschreibung darauf hin, dass der Preis nicht das einzige Zuschlagskriterium sei.

Der Bundestag verabschiedete Mitte Februar das Gesetz von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung. Patienten haben danach ein Recht auf bessere Qualität bei Hilfsmitteln wie Windeln, Kompressionsstrümpfen, Schuheinlagen, Prothesen, Hörgeräten oder Rollstühlen. Zudem soll Therapeuten bei medizinischen Behandlungen wie Krankengymnastik oder Massagen sowie bei der Behandlung von Sprech- und Sprachstörungen mehr Verantwortung übertragen werden. Das Gesetz tritt am 10. März in Kraft.

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