Heroin „auf Rezept“ APOTHEKE ADHOC, 12.03.2021 09:00 Uhr
2010 wurde Diamorphin, die Substanz hinter der Droge Heroin, im Abgabestatus geändert. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Opioid verordnet werden. Die diamorphingestützte Substitutionsbehandlung beinhaltet die tägliche Spritze vom Arzt.
Rund 170.000 Menschen sind nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums Opioid abhängig. Im Jahr 2020 zählte das Substitutionsregister insgesamt 81.300 Menschen. Die Dunkelziffer aller Abhängigen liegt weitaus höher. Neben klassischen Entzügen und einer Therapie mit Methadon können einige Abhängige auch auf eine Therapie mit Diamorphin zurückgreifen. Die Therapie steht allerdings nicht jedem offen.
Zum einen steht die Therapie nur in Großstädten zu Verfügung, zum anderen können nur Schwerstkranke in das Programm aufgenommen werden. Als schwerstkrank werden Opioidabhängige eingestuft, wenn sie mindestens 23 Jahre alt sind und seit fünf Jahren konsumieren. Erste Erfahrungen mit Entzügen müssen gemacht worden sein. Neben stationären Entzügen muss auch eine Substitutionstherapie mit Methadon oder Buprenorphin ausprobiert worden sein. Erst wenn auch diese „Ersatzdrogen“ keinen Therapieerfolg geschaffen haben, kommt eine intravenöse Gabe von Diamorphin in Betracht.
Die Therapie verfolgt ein anderes Ziel als ein reiner Entzug. Am Ende soll der Betroffene nicht „clean“ sein. Vielmehr geht es um Resozialisierung. Durch die Sicherstellung des Bedarfs an Heroin entsteht kein finanzieller Druck. Ohne finanziellen Druck können Abhängige aus bestehender Beschaffungskriminalität entkommen. Gleichzeitig bietet das ärztliche Diamorphin eine Reinheit wie sie auf der Straße nie erlangt werden wird. Zahlreiche Nebenwirkungen durch Verunreinigungen bleiben aus. Eitrige Wunden, eine Sepsis oder durchstochene Venen können vermieden werden. Insbesondere für Frauen kann eine Diamorphintherapie auch ein Weg raus aus der Prostitution bedeuten.
Währenddessen ist die Zahl der Menschen, die sich in einer Substitutionstherapie befinden in den letzten Jahren kontinuierlich leicht angestiegen ist, ist die Entwicklung bei den verschreibenden Ärzten eine andere. In den letzten zehn Jahren legten rund 200 Arztpraxen die Verschreibung von Substitutionstherapie nieder. Im vergangenen Jahr waren es noch 2545 Arztpraxen, in denen sich Abhängige ihre „Ersatzdrogen“ verordnen lassen konnten. Die meisten der teilnehmenden Ärzte behandeln bis zu 50 Opioid-abhängige Patienten (76 Prozent). Nur 8 Prozent behandeln mehr als 100 Abhängige in ihrer Praxis. Die durchschnittliche Anzahl der gemeldeten Substitutionspatienten pro substituierenden Arzt beträgt bundesweit 32
Auch die Anzahl der Diamorphin-Einrichtungen kann eher als stagnierend bezeichnet werden. Zehn Jahre nach der Änderung des Verschreibungsstatus bieten dreizehn Einrichtungen in sieben Bundesländern Substitutionsbehandlungen mit dem Substitutionsmittel Diamorphin an. 1,2 Prozent aller Abhängigen, die eine Substitutionstherapie erhalten, erhalten Diamorphin. Knapp zwei Drittel erhalten Methadon oder Levomethadon. Der Anteil der Methadon-Verordnungen ging in den letzten zwanzig Jahren stark zurück. Konnten 2002 noch 72,1 Prozent aller Substitutionstherapie dem Wirkstoff Methadon zugeordnet werden, so sind es knapp 20 Jahre später nur noch rund die Hälfte.
Laut BMG ist ein Ausbau der Versorgung nicht geplant. Die Genehmigung und Überwachung der spezialisierten Einrichtungen sei Ländersache. Um den Abhängigen frühzeitiger helfen zu können fordern einige Mediziner den leichteren Zugang zu Diamorphin. Für viele Betroffene würde die Therapie eine starke Verbesserung der Lebenssituation bedeuten. Ohne finanziellen Druck und durch eine hohe Reinheit des Arzneistoffes gelingt es einigen Patienten wieder einen strukturierten Alltag zu führen.