Kuriose Retaxation

AOK straft Apotheke für Zuzahlungsbefreiung ab

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Berlin -

Immer wieder sorgen Retaxationen in Apotheken für Aufregung – entweder weil der finanzielle Schaden beträchtlich ist oder weil die Krankenkasse auf kleinlichen Formalitäten beharrt. In der Arnsburg Apotheke von Hessens Apothekerverbandsvorsitzendem Holger Seyfarth schlug kürzlich eine kuriose dritte Kategorie auf. Die AOK Hessen retaxierte drei Rezepte eines Patienten, weil dieser angeblich keinen gültigen Zuzahlungsausweis vorgelegt hatte. Der Schaden ist mit insgesamt 23,38 Euro überschaubar. Trotzdem legte Seyfarth Einspruch ein – und dürfte damit wohl Erfolg haben.

Ende November erreichte die Arnsburg Apotheke ein 28-seitiges Retax-Schreiben der AOK Hessen. Darin bemängelt die Kasse drei Rezepte eines Patienten mit derselben Begründung: „Zuzahlung nicht oder falsch erhoben.“ Die Rezepte wurden alle im März 2019 in der Apotheke vorgelegt und beliefert. Der Patient legte einen Zuzahlungsbefreiungs-Nachweis vor, ausgestellt am 27. März 2019, gültig für das gesamte Jahr 2019. Nach der Retaxation durch die AOK Hessen legte der Patient seinen Befreiungsausweis nochmals im Dezember in der Arnsburg Apotheke zur Bestätigung vor.

Merkwürdig dabei war, dass die Überprüfung im OHA Portal die Antwort „nicht befreit“ ergab. OHA steht für „Online Hintergrund Abfrage“. Dieses Serviceangebot der AOK ermöglicht es Leistungserbringern, „den Befreiungsstatus unserer Versicherten online zu prüfen“, verspricht die AOK: „Falls aus der Verordnung kein Zuzahlungsstatus ersichtlich ist und der Versicherte seinen Status nicht belegen kann, bietet das OHA-Portal eine schnelle und verlässliche Hilfe“. Auf Nachfrage der Apotheke teilte die AOK Hessen mit, dass der Befreiungsausweis unberechtigt zugesendet worden sei. „Dies ist für uns natürlich schwer überprüfbar“, so Seyfarth. Er legte nicht nur Einspruch zu genannter Retaxation ein, sondern ließ die Rechtslage im Verband klären.

Vom Retax-Team des LAV Hessen erhielt er folgende Antwort: „Wir sind der Auffassung, dass die von Ihnen geschilderte Absetzung im Einspruchsverfahren unter Beifügung der Befreiungsausweiskopie des Patienten von der AOK Hessen storniert werden muss.“ Lege der Patient in der Apotheke einen Befreiungsausweis vor, so sei diese nicht verpflichtet, den Zuzahlungsstatus zusätzlich im OHA abzufragen. Die Nutzung dieser Online-Plattform erfolge freiwillig. „Eine solche Prüfpflicht ergibt sich auch dann nicht für Sie, wenn sich die Apotheke zur Nutzung der Plattform registriert hat. Im Arzneimittelbereich ist das vom Arzt gesetzte Kreuz in Bezug auf die Zuzahlung verbindlich und die Apotheke ist nach den Regelungen im Arzneiliefervertrag nicht verpflichtet, den Zuzahlungsstatus, markiert durch den Arzt, zu überprüfen“, teilte das Retax-Team mit. Lediglich bei Hilfsmittelrezepten müsse die Apotheke eine auf dem Rezept vermerkte Zuzahlungsbefreiung überprüfen.

„Vereinzelt“ sind dem Retax-Team des LAV Hessen ähnlichen gelagerte Fällen schon zu Ohren gekommen: „Uns stellt sich noch die Frage, ob die AOK Hessen Ihren Patienten denn informiert hatte, dass sein Ausweis unberechtigt ausgegeben wurde, da er sich ja anscheinend am 10.12.2019 bei Ihnen wieder darauf berufen hatte. Dies nur als Hinweis, falls die AOK Hessen Ihren Einspruch trotz aller Beweise ablehnen würde“, wundern sich die Retax-Spezialisten.

Auf Nachfrage von APOTHEKE ADHOC kann sich die AOK Hessen den Vorgang nicht so recht erklären. Man will der Sache nachgehen. Grundsätzlich teile die AOK Hessen allerdings die Rechtsauffassung des Retax-Teams des LAV Hessen. Ein Sprecher sagte eine genaue Prüfung zu und räumte ein, dass möglicherweise der Retax-Abteilung der AOK ein Fehler unterlaufen sei. Jetzt bleibt abzuwarten, wie der Einspruch beschieden wird.

Die gesetzliche Zuzahlung für Rx-Arzneimittel beträgt für Patienten 10 Prozent, mindestens 5 und höchstens 10 Euro, aber nie mehr, als das Medikament tatsächlich kostet. Dies soll einerseits die Krankenkassen entlasten, laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) soll der Eigenanteil aber auch „bewirken, dass die Versicherten im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf eine kostenbewusste und verantwortungsvolle Inanspruchnahme von Leistungen Wert legen“.

Nach Zahlen des Deutschen Apothekerverbands (DAV) ist nur jedes fünfte Rabattarzneimittel ganz oder teilweise von der gesetzlichen Zuzahlung befreit. Vor einem Jahr war noch jedes vierte Rabattarzneimittel zuzahlungsfrei. Im August 2019 waren nur noch 4915 von 23.484 Rabattarzneimitteln (21 Prozent) von der Zuzahlung komplett oder hälftig befreit. Zuzahlungen sind in Apotheken also die Regel.

Glaubt man der Einschätzung von Apothekern, ist die angenommene Steuerungswirkung allerdings überdreht. So gaben rund zwei Drittel (65 Prozent) der Befragten in einer aposcope-Studie an, in ihrer Apotheke mindestens einmal im Monat mitzuerleben, dass sich ein Patient die Zuzahlung nicht leisten kann. Bei fast 20 Prozent der Befragten kommt das in der Apotheke sogar mehrfach pro Woche oder täglich vor.

In diesen Fällen verschieben die Betroffenen das Einlösen des Rezepts laut drei Viertel der Befragten (75 Prozent) auf einen späteren Zeitpunkt. Viele Patienten verzichten jedoch auch auf das benötigte Arzneimittel, gaben 59 Prozent der Teilnehmer an. In Einzelfällen versuchen die Versicherten auch, die Zuzahlung zu verweigern oder bitten gar Passanten vor der Apotheke um Hilfe.

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