Nachträgliche Heilung ausgeschlossen

0 statt 4319,25 Euro: Kein Arztstempel, kein Geld

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Berlin -

Klage unbegründet: Das Sozialgericht Reutlingen (SG) hat im Streit um eine Retaxation zugunsten der Kasse entschieden. Weil der Arztstempel fehlte wurde die Apotheke auf Null retaxiert. Auch der Landesapothekerverband Baden-Württemberg biss bei der Kasse auf Granit. Schließlich hielt auch das SG am fehlenden Vergütungsanspruch fest. Das Urteil aus dem Februar ist nicht rechtskräftig.

Vor dem SG ging es um folgenden Fall: Im März 2017 hatte eine Apotheke Votrient 400 mg zu 60 Stück zu Lasten der Kasse abgegeben und dem Kostenträger entsprechend 4589,88 Euro in Rechnung gestellt. Das Muster-16-Formular war zwar vom Arzt unterschrieben und mit Betriebsstätten- und Arztnummer versehen, jedoch fehlte der Arztstempel oder ein entsprechender Aufdruck. Folglich kassierte die Apotheke im Dezember eine Vollabsetzung von 4319,25 Euro – die gesetzlichen Rabatte und die Zuzahlung abgezogen. Die Begründung: „Arztstempel fehlt, nachträgliche Arztbestätigung/Verordnung wird nicht anerkannt.“

Im Januar 2018 hatte der LAV Baden-Württemberg im Vorfeld des Verfahrens Einspruch eingelegt – am Klageverfahren vor dem SG war der LAV nicht beteiligt und auch nicht einbezogen – und begründete diesen mit einem bestehenden Vergütungsanspruch seitens des Apothekers auch dann, wenn das Rezept nicht ordnungsgemäß ausgestellt sei, es sich jedoch um einen unbedeutenden, die Arzneimittelsicherheit und Wirtschaftlichkeit nicht wesentlich tangierenden Formfehler handele. Der LAV fügte dem Einspruch eine Imagekopie sowie eine Bestätigung des verschreibenden Arztes bei, dass der Stempel versehentlich nicht aufgebracht wurde.

Die Kasse wies den Einspruch zurück, denn das Rezept hätte nicht beliefert werden dürfen und aufgrund des fehlenden Arztstempels zurückgewiesen werden müssen. Schließlich handele es sich nicht um eine ordnungsgemäß ausgestellte Verordnung. Weil der Stempel fehlt, sei die Zuordnung zur Betriebsstätte beziehungsweise das zweifelsfreie Erkennen des verordnenden Arztes weder für die Apotheke noch die Kasse möglich, was jedoch der Rahmenvertrag eindeutig fordere. Die Kasse bezieht sich auf § 4 Absatz 2 Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV). Die Apotheke hätte die nicht ordnungsgemäß ausgestellte Verordnung zurückweisen müssen, denn es ist keine „taugliche Abrechnungsgrundlage“ gegeben. „Eine nachträgliche Heilung der Verletzung von Abgabebestimmungen komme nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich nicht in Betracht“, argumentiert die Kasse und behielt die knapp 4300 Euro ein.

Die Apotheke erhob im Mai Klage beim SG. Zwar sei das Fehlen des Arztstempels unstrittig, allerdings wurde der Malus zum Zeitpunkt der Entscheidung über den eingelegten Einspruch durch den Arzt nachgeholt und der Kasse vorgelegt. Zudem seien auch ohne Arztstempel BSNR und LANR der Verordnung zu entnehmen gewesen. Auch an der Arztunterschrift fehlte es nicht, argumentierte die Apotheke. Es sei außerdem nicht akzeptabel, dass die Kasse eine nachträgliche Heilung ausschließe. Aus Sicht der Apotheke spreche die Kasse dem Arzt ab, dem ihm unterlaufenden Fehler selbst nachträglich korrigieren zu können. Zudem handele sich um eine der Kasse bekannte Dauertherapie.

Das SG gab der Kasse Recht und sah die Klage als unbegründet an, da die Apotheke keinen Anspruch auf die Kostenübernahme habe. Die ursprüngliche Zahlung der Kasse erfolgte ohne Rechtsgrund, da kein Vergütungsanspruch bestand weil der Vertragsarztstempel fehlte. „Den Apotheker trifft die Pflicht, ordnungsgemäß vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur im Rahmen seiner Lieferberechtigung an Versicherte abzugeben. Verletzt er diese Pflicht, ist dies sein Risiko“, so das SG. „Für nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben hat die Krankenkasse nichts zu zahlen“, heißt es in der Urteilsbegründung weiter.

Eine Heilungsmöglichkeit ist auch aus Sicht der Richter durch § 4 AMVV ausgeschlossen. Apotheker seien im Einzelfall in Bezug auf die Angaben zum Verschreiben nur berechtigt Vornamen und Telefonnummer zur Kontaktaufnahme zu ergänzen.

Aus Sicht der Richter handele es sich beim fehlenden Arztstempel nicht um einen unbedeutenden , die Arzneimittelsicherheit und Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierenden, insbesondere formalen Fehler. Auch wenn durch Internetrecherche unter Angabe der BSNR und LANR der verschreibende Arzt ermittelt werden könne. Maßgebend sei, dass der Arzt aus der Verordnung zu erkennen ist. „Müsste der verordnende Arzt erst durch Recherche der BSNR und LANR vom Apotheker ermittelt werden, würde dies der zügigen Abgabe von Arzneimitteln in der Apotheke entgegenstehen und zu einer erheblichen Mehrbelastung der Apotheker führen, die durch die zwingenden Bestandteile einer Verordnung (auch) vermieden werden soll.“

Zwar wurde das Arzneimittel nicht zum ersten Mal verordnet, hinzu käme allerdings, dass in der Zwischenzeit ein Behandlerwechsel stattgefunden habe. „Dabei kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass auch Dr. […] als neuer Behandler ebenso wie sein Vorgänger Dr. […] dasselbe Medikament in der selben Dosis verordnet.“

Gegen die Nullretaxation bestehen aus Sicht des SG keine verfassungsrechtlichen Bedenken. „Erfolgt die Abgabe von Arzneimitteln unter Verstoß gegen Abrechnungsvorschriften, kann der abgebende Apotheker eine Vergütung selbst nicht dann erlangen, wenn die Leistung im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden und für den Versicherten geeignet und nützlich ist.“

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