Wenn Arzneimittel zur Droge werden Alexandra Negt, 07.01.2020 10:11 Uhr
Gerade BtM-Substanzen werden aufgrund ihrer zentralen Wirkung häufig zweckentfremdet eingenommen. Im Fokus der missbräuchlichen Anwendung standen jahrelang Tropfen-Präparate mit Opioden. Wegen der flüssigen Darreichungsform fluten die Wirkstoffe schnell im Körper an und führen zu Euphorie oder Gleichgültigkeit. Doch auch andere BtM-Substanzen wie Ritalin oder Oxycodon können einen Rauschzustand auslösen. Ein Missbrauch sollte der Arzneimittelkommission gemeldet werden.
In § 17 Abs. 8 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) ist verankert, dass das pharmazeutische Personal einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegentreten muss. „Bei begründetem Verdacht auf Missbrauch ist die Abgabe zu verweigern.“ Tilidin, Ritalin, Oxycodon und hochdosierte Benzodiazepine wie Flunitrazepam (Rohypnol) gehören zu den häufig als Droge eingenommenen Substanzen.
Tilidin
Patienten, die Tilidin-Tropfen missbräuchlich verwenden, stellten in der Vergangenheit vermehrt Beschwerden über eine angebliche Wirkungslosigkeit an. Um dies glaubhaft zu machen, wurde von den Konsumenten ein Teil der Lösung aus dem Primärpackmittel entnommen und mit Wasser oder Alkohol aufgefüllt. Die Manipulation der Arzneimittel soll stets der AMK gemeldet werden. Idealerweise erfolgt in der Apotheke eine Fotodokumentation des beanstandeten Präparates. Es empfiehlt sich, die Personalien des Kunden und den verordnenden Arzt zu erfragen, um Rücksprache halten zu können. Die daraus resultierenden Konflikte aufgrund der Datenschutzbestimmungen stellen für die Apotheken eine besondere Hürde dar.
Methylphenidat (Ritalin)
Methylphenidat wird beim Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Erwachsenen eingesetzt. Der Wirkstoff wird aufgrund der aufputschenden und euphorisierenden Wirkung missbräuchlich verwendet. Ritalin wird in Studentenkreisen zur Steigerung der Konzentrations- und Gedächtnisleistung konsumiert. Die Beschaffung läuft überwiegend über den Schwarzmarkt und weniger über die Apotheke. Wie häufig der Arzneistoff tatsächlich missbräuchlich eingenommen wird, ist unklar. Die Amphetamin-ähnliche Wirkung ist stärker, je höher die zentrale Anflutungsgeschwindigkeit ist, deshalb wird Methylphenidat oft intranasal oder intravenös angewendet.
Oxycodon
Das Analgetikum wird als Heroin-Ersatz oder ergänzend zur Sucht eingenommen. Retard-Formulierungen werden oftmals zerrieben – so kann der Wirkstoff schneller ins Blut gelangen und es kommt zum sogenannten „Flash“. Die analgetische Potenz entspricht dem 1,5-fachem von Morphin. Der Arzneistoff wird häufig im Krankenhaus nach Operationen eingesetzt. Im außerklinischen Bereich erfolgt eine Verschreibung nur bei starken Schmerzen, etwa durchbrechenden Tumorschmerzen.
Benzodiazepine
Je nach Dosierung sind die Arzneistoffe rezeptpflichtig oder unterliegen dem BtMG. Zu den Benzodiazepinen gehören unter anderem Bromazepam, Diazepam, Flunitrazepam, Lorazepam, Oxazepam und Tetrazepam. Indiziert sind die Wirkstoffe zur kurzfristigen Behandlung von Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen. Darüber hinaus werden sie bei schweren Schlafstörungen sowie bei psychotischen Erregungszuständen und Hirnkrampfanfällen eingesetzt. Sie können zur Beruhigung und Entspannung vor operativen und diagnostischen Eingriffen gegeben werden. Benzodiazepine werden auch bei Überlastung und Erschöpfung verschrieben – bei andauernder Einnahme kann es zur Abhängigkeit und zum Gewöhnungseffekt kommen.
Im Rahmen von Missbrauch werden bestimmte Arzneistoffe in mehrfacher Überdosierung eingenommen oder intravenös injiziert. Grundsätzlich besitzen die Medikamente eine angstlösende, krampflösende, beruhigende und schlafanstoßende Wirkung. Rohypnol ist besonders aus Film und Fernsehen unter dem Namen Roofies bekannt. Bevor Flunitrazepam der BtM-Pflicht unterstellt wurde, kam es in Deutschland zu vermehrten Missbrauchsfällen. Apotheken berichteten immer wieder über gefälschte Privatrezepte. Seit 2011 darf der Wirkstoff nur noch auf dem BtM-Rezept abgegeben werden.
Wegen seiner spezifischen Eigenschaften werde Flunitrazepam von Heroinabhängigen zur Verstärkung der Rauschwirkung und zur Minderung von Entzugserscheinungen genutzt, heißt es in der Gesetzesbegründung. Ein längerer Gebrauch könne zu schwerwiegenden Abhängigkeitserkrankungen führen. Außerdem spiele der Stoff im Rahmen der K.-O.-Tropfen-Problematik eine Rolle.
Da das ursprünglich dreiteilige BtM-Rezept schwer zu fälschen ist, handelt es sich bei vorgelegten Verordnungen häufig um gestohlene Exemplare. Eine ärztliche Rücksprache sollte immer dann erfolgen, wenn in der Apotheke eine missbräuchliche Verwendung vermutet wird oder ein Arzneimittel- oder Alkoholabusus des betreffenden Patienten bekannt ist. Auch bei vorliegenden Mehrfachverordnungen sollte immer Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden. Häufig kommen Rezeptbetrüger kurz vor Ladenschluss der Apotheke, damit sich die Mitarbeiter nicht mehr in der schon geschlossenen Arztpraxis rückversichern können. Unter Umständen sollte das pharmazeutische Personal eine Abgabe verweigern und auf den nächsten Tag vertrösten.
BtM sind in den Anlagen I bis III des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) aufgeführt. Ein Stoff oder eine Zubereitung wird aufgrund der Wirkungsweise oder aufgrund eines bestehenden Abhängigkeitspotential in die Anlagen aufgenommen. Darüber hinaus kann das Ausmaß der missbräuchlichen Verwendung oder die Möglichkeit, BtM aus der Substanz zu synthetisieren zur Aufnahme eines Stoffes in die Anlagen führen. Die Überwachung des BtM-Verkehrs unterliegt der Bundesopiumstelle, sie ist Teil des BfArM. Der Betäubungsmittelverkehr bei Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten sowie in Apotheken, tierärztlichen Hausapotheken, Krankenhäusern und Tierkliniken obliegt der jeweils zuständigen Landesgesundheitsbehörde.
Anlagen BtMG
- Anlage I: Nicht verkehrsfähigen und nicht verschreibungsfähige Substanzen
- Anlage II: Verkehrsfähige aber nicht verschreibungsfähige Substanzen
- Anlage III: Verkehrsfähige und verschreibungsfähige Substanzen
Die in Anlage I aufgeführten Substanzen spielen beim Missbrauch kaum eine Rolle. Innerhalb der Anlage II ist Metamfetamin ein häufig missbräuchlich verwendeter Stoff. In Anlage III sind zahlreiche Stoffe mit Missbrauchspotential aufglistet, darunter zahlreiche Benzodiazepine, Methylphenidat, Methadon, Morphin und Cocain.
Straftaten im BtMG
Das Ziel des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) ist, die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und zugleich den Missbrauch von BtM, sowie das Bestehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen. Abgesehen vom Handeln ist der Umgang mit BtM aufgrund der individuellen Entscheidungsfreiheit des Menschen kaum zu beanstanden. Da die Gesundheit des Volkes jedoch zur Schutzaufgabe des Staates gehör, ist der Konsum grundsätzlich strafbar. Das jeweilige Strafmaß ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
Die wichtigesten Grundtatbestände finden sich im § 29 Abs.1 BtMG. Zu ihnen zählen:
- Anbau (Aussaat, Pflege und Aufzucht)
- Herstellung (Gewinnen, Anfertigen, Zubereiten, Verarbeiten und Umwandeln)
- Handeltreiben (weit gefasster Tatbestand)
- Einfuhr (Handel ins Inland)
- Ausfuhr (Handel ins Ausland)
- Veräußerung (Abgeben gegen Entgeld)
- Abgabe (Abgabe ohne Entgeld, Schenkung)
- Erwerb (entgeltliches oder unentgeltliches Rechtsgeschäft)
- Besitz (bewusstes, tatsächliches Innehaben)
Über das Strafmaß entscheidet die Art und die Menge der Droge. Es gibt weiche (Marihuana), mittelgefährliche (Amphetamin) und harte Drogen (Kokain, Heroin). Bezogen auf die in der Apotheke relevanten Substanzen lässt sich festhalten: Ab einem Besitz von mehr als 10 Gramm reinem Amphetamin sieht der Gesetzgeber beispielsweise ein Jahr Freiheitsstrafe vor. Wurden die Verordnungen aus einer Arztpraxis entwendet, lautet die Anklage Diebstahl, Betrug sowie Urkundenfälschung – zwei Jahre Bewährungsstrafe und unterschiedlich hohe Geldstrafen könnten die Maßregelung sein.