Verlassen Lemocin und Dorithricin die Sichtwahl? Alexandra Negt, 30.09.2020 14:33 Uhr
Lokal wirksame Antibiotika sind umstritten – zumal die meisten grippalen Infekte einen viralen Auslöser haben und Wirkstoffe gegen Bakterien damit per se nicht wirken können. In den OTC-Produkten Lemocin (Stada) und Dorithricin (Medice) ist Tyrothricin enthalten. Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht wird im Januar entscheiden, ob der Wirkstoff zur Behandlung von Erkrankungen im Mund- und Rachenraum rezeptpflichtig werden soll. Besonders bitter: Stada hatte erst vor einigen Jahren Locabiosol verloren – und gerade erst Lemocin von GlaxoSmithKline gekauft.
Tyrothricin wird häufig mit weiteren Wirkstoffen kombiniert. So auch bei den gängigen OTC-Lutschtabletten: Dorithiricin enthält außerdem Benzalkoniumchlorid und Benzocain. Benzalkoniumchlorid ist für die desinfizierende und konservierende Wirkung bekannt und gehört zu den quartären Ammoniumverbindungen. Der Stoff steht in der Kritik, allergische Reaktionen und Reizungen hervorzurufen. Benzocain dient als Lokalanästhetikum der Betäubung der gereizten Schleimhaut.
Eine solche Dreierkombi ist auch in Lemocin zu finden. Hier wird Tyrothricin mit Cetrimoniumchlorid und Lidocain kombiniert. Auch Cetrimoniumchlorid ist eine chemische Verbindung aus der Gruppe der quartären Ammoniumverbindungen und dient der Desinfektion der Schleimhaut. Lidocain dient der Schmerzlinderung. Wegen des Zitronengeschmacks ist das Produkt vor allem bei Eltern beliebt.
Lemocin und Dorithricin werden eingesetzt zur temporären unterstützenden Behandlung bei schmerzhaften Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut. Bei Lemocin verweist der Hersteller darauf, dass nach zwei Tagen ein Arzt aufgesucht werden sollte, sofern keine Besserung der Beschwerden oder gar eine Verschlechterung eintritt. Die empfohlene Dosis beträgt alle ein bis drei Stunden eine Lutschtablette. Eine Gesamtdosis von acht Lutschtabletten täglich sollte nicht überschritten werden. Bei Dorithricin lautet die empfohlene Dosierung: eine bis zwei Lutschtabletten alle zwei bis drei Stunden. Medice nennt in der Gebrauchsinformation keine Höchstmenge. Nach Abklingen der Beschwerden soll die Einnahme noch einen Tag fortgeführt werden. Dorithricin ist für Kinder unter zwei Jahren laut Hersteller nicht geeignet.
Tyrothricin ist keine klassische Reinsubstanz, sondern ein Gemisch aus Peptidantibiotika. Diese werden als Naturstoffe von dem Bakterium Bacillus brevis produziert. Oral eingenommen wird der Arzneistoff nicht resorbiert, wodurch sich die ausschließliche lokale Anwendung ergibt. Der Wirkstoff ist indiziert bei bakteriellen Entzündungen der oralen Schleimhäute. Eine Anwendung sollte nur bei bakteriellen Sekundärinfektionen im Zuge von Erkältungserkrankungen erfolgen. Darüber hinaus kann Tyrothricin auch bei Infektionen am Auge in Form von Augentropfen und Augensalben angewendet werden. Eine dermale Anwendung ist zwar selten aber ebenfalls möglich.
Bei den Präparaten gegen Halsschmerzen sind die Tyrothricin-haltigen Varianten nicht die einzigen Präparate, die in der Kritik stehen. Auch Lutschtabletten mit dem schmerzlindernden Stoff Flurbiprofen sollten nach Expertenmeinung der Rezeptpflicht unterstellt werden. Seit Mai 2019 sind flurbiprofenhaltige Lutschtabletten in Frankreich beispielsweise wieder rezeptpflichtig. Grund für den Rx-Switch war vor allem die potentielle Wechselwirkung des Wirkstoffes mit Antikoagulantien: 49 Berichte über unerwünschte Nebenwirkungen in Bezug auf flurbiprofenhaltige Lutschtabletten lagen der französischen Arzneimittelbehörde zum vor.
Stada musste schon ein Halsschmerzmittel aus dem Sortiment streichen: Das Fusafungin-haltige Präparat Locabiosol ging vor vier Jahren vom Markt. Im Februar 2016 hatte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) das Ruhen der Zulassung angeordnet. Die EMA sah nach erfolgter Sicherheitsbewertung ein negatives Nutzen-Risiko-Profil für Fusafungin-haltige Präparate. Die steigenden Meldungen zu schweren allergischen Reaktionen bei Erwachsenen und Kindern führten zu der Risikobewertung. Locabiosol war seit 1978 auf dem Markt und zur Behandlung bei akut entzündlichen Erkrankungen der oberen Luftwege zugelassen.
Manche Produkte haben aber auch vom Generalalphabet in die Sichtwahl gewechselt. So beispielsweise Tantum verde. Das Spray absolvierte den Switch in die Sichtwahl vor sieben Jahren. Im Juni 2012 hatte der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfohlen, Benzydamin in die Selbstmedikation zu entlassen. Mittlerweile hat das Rachentherapeutikum in vielen Apotheken einen festen Platz in der Sichtwahl.