EuGH-Urteil

Ungenutzter Urlaub verfällt nicht

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Berlin -

In der Erkältungssaison ist in der Apotheke besonders viel los und in der Vorweihnachtszeit lässt der Stress nicht nach. Da wird am HV-Tisch und im Backoffice jede Kraft benötigt. Den Resturlaub zu nehmen ist nicht nur schwierig bis unkollegial, es geht im Trubel auch manchmal einfach unter. Doch selbst bei missgünstigen Chefs müssen sich PTA und angestellte Approbierte laut einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) keine Sorgen machen: Auch nicht beantragter Urlaub verfällt nicht automatisch am Jahresende. Erben können sich im Todesfall den Resturlaub sogar ausbezahlen lassen.

In dem in Luxemburg verhandelten Fall ging es um einen Rechtsreferendar, der beim Land Berlin seinen juristischen Vorbereitungsdienst absolvierte. Während der letzten Monate nahm er keinen bezahlten Jahresurlaub. Nach dem Ende des Vorbereitungsdienstes beantragte er eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage. Das Land lehnte den Antrag ab. Der Rechtsreferendar klagte dagegen vor den Verwaltungsgerichten an.

Im anderen Fall ging es um einen Beschäftigten der Max-Planck-Gesellschaft. Etwa zwei Monate vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses wurde der Arbeitnehmer gebeten, seinen Resturlaub zu nehmen. Eine Verpflichtung, den Urlaub zu einem festgelegten Termin zu nehmen, gab es nicht). Der Angestellte nahm aber nur zwei Urlaubstage und beantragte die Auszahlung für die nicht genommenen Urlaubstage, was die Max-Planck-Gesellschaft ablehnte. Die Sache ging vor das Arbeitsgericht.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und das Bundesarbeitsgericht legten ihren Fall jeweils dem EUGH zur Vorabentscheidung vor. Dabei ging es auch um die Frage, ob der Urlaub – außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – überhaupt finanzielle abgegolten werden darf. Die Luxemburger Richter entschieden jetzt, dass ein Arbeitnehmer seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verliert, weil er keinen Urlaub beantragt hat.

Diese Ansprüche könnten nur untergehen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber etwa durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen, was der Arbeitgeber zu beweisen hat. Der Arbeitnehmer sei nämlich als die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses anzusehen. Er könnte daher davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insbesondere die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen kann, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken könnten, so das Gericht.

Weist der Arbeitgeber aber nach, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken auf seinen bezahlten Jahresurlaub zu verzichten, obwohl er ihn hätte nehmen können, sieht es laut EuGH anders aus. Der Arbeitnehmer verliert seinen Anspruch, das gilt auch für die Auszahlung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Alles andere wäre laut EuGH nämlich nicht mit den durch die Schaffung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub verfolgten Zielen vereinbar. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob es sich um einen öffentlichen Arbeitgeber (wie das Land Berlin) oder einen privaten Arbeitgeber (wie die Max-Planck-Gesellschaft) handelt.

In einem dritten Verfahren klagten jeweils die Witwen vor den Arbeitsgerichten auf Auszahlung des Resturlaubs ihrer verstorbenen Ehemänner. Das Bundesarbeitsgericht wollte vom EuGH wissen, ob ein Anspruch auf Auszahlung außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht. Es sei fraglich, ob diese bisherige Rechtsprechung auch dann gelte, wenn eine solche finanzielle Vergütung nach dem nationalen Recht nicht Teil der Erbmasse werde, wie dies in Deutschland der Fall sei. Außerdem könne der mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen und einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zur Verfügung zu stellen, nach dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr verwirklicht werden.

Doch der EuGH entschied, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers nicht mit seinem Tod untergeht. Erben könnten eine finanzielle Vergütung für den von ihm nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen. Sofern das nationale Recht eine solche Möglichkeit ausschließt, könnten sich Erben unmittelbar auf das Unionsrecht berufen – und zwar sowohl gegenüber einem öffentlichen als auch gegenüber einem privaten Arbeitgeber. Einer der verstorbenen war bei der Stadt Wuppertal beschäftigt, ein anderer in der freien Wirtschaft.

Zwar erkennt der EuGH an, dass der Tod des Arbeitnehmers unvermeidlich zur Folge hat, dass er die Entspannungs- und Erholungszeiten nicht mehr wahrnehmen kann. Der zeitliche Aspekt sei jedoch nur eine der beiden Komponenten des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub. Die finanzielle Komponente sei „rein vermögensrechtlicher Natur“. Der Arbeitnehmer habe also Anspruch auf das Geld – und in der Folge auch seine Erben, da das Recht durch den Tod nicht rückwirkend entzogen werden könne. Das deutsche Recht wird dabei vom Unionsrecht ausgestochen.

Alle Fälle gehen jetzt zurück an die vorlegenden deutschen Gerichte, die aber im Einklang mit dem EuGH-Urteil entscheiden müssen. Der Spruch des EuGH bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

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