Kein Süßholz unter Digitoxin Nadine Tröbitscher, 22.02.2017 14:24 Uhr
Nicht nur Arznei-, sondern auch Lebensmittel können Wechselwirkungen hervorrufen. Grapefruit gilt als Paradebeispiel. Doch auch Süßholzwurzel aus Lakritze und Hustentee kann die Wirkung von Medikamenten beeinflussen. Bei der gleichzeitigen Einnahme von Digitoxin drohen Intoxikationen.
Fall: Ein Kunde löst in der Apotheke ein Rezept über seine Dauermedikation ein. Verordnet ist ein Digitoxin-Präparat. Das Arzneimittel ist seit Langem bekannt und der Kunde gut eingestellt. Dennoch verspüre der in letzter Zeit Kopfschmerzen, leichte Magen-Darm-Beschwerden und vereinzeltes Herzstolpern. Manchmal bemerke er Extraschläge. Der Arzt konnte beim heutigen Besuch keine Unauffälligkeiten feststellen.
In der Hand hält der Mann eine Tüte Lakritze, die er kaufen möchte. Eigentlich esse er nur ab und zu die schwarze Süßigkeit, aber in den letzten Wochen habe er mehr genascht. Im Gespräch ergibt sich ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Lakritze und den geschilderten Beschwerden.
Analyse: Verantwortlich für die unerwünschte Wirkung ist die in der Lakritze enthaltene Glycyrrhizinsäure. Der natürliche Inhaltsstoff der Süßholzwurzel hemmt die 11-beta-Hydroxysteroiddehydrogenase. Das Enzym wandelt Cortisol zu Cortison um. Lagert sich Cortisol nun verstärkt in der Niere an, kommt es zu einer aldosteronartigen Wirkung. Aldosteron zählt zu den Mineralocorticoiden und verursacht einen vermehrten Einbau von Natriumkanälen in der Niere. Dadurch wird vermehrt Natrium rückresorbiert und Kalium ausgeschieden – eine Hypokaliämie kann entstehen. Blutvolumen und Blutdruck steigen.
Digitoxin konkurriert mit Kalium um die Natrium-Kalium-Pumpe in der Herzmuskelzelle. Das Glykosid hemmt diese ATPase und erhöht somit die intrazelluläre Natriumkonzentration. In der Folge wird weniger Calcium aus der Zelle geschleust, das steigert die Kontraktilität. Ist die extrazelluläre Kaliumkonzentration gering, wird die Digitoxin-Wirkung verstärkt. In diesem Zusammenhang treten vermehrt Nebenwirkungen auf. Es kommt zu kardialen, gastrointestinalen und zentralnervösen Symptomen – Beschwerden einer Digitalis-Intoxikation.
Der durch große Mengen Lakritze verursachte Kaliumverlust verstärkt somit die Wirkung des Herzmedikaments. Umgekehrt schwächt ein zu hoher Kaliumspiegel die Wirkung von Digitoxin ab. Wird auf die Nascherei verzichtet, verschwinden die unerwünschten Wirkungen wieder, der Kaliumspiegel kommt wieder in Balance. Der Effekt kann auch durch den Genuss von Bronchialtee auftreten. Die Präparate enthalten oft Süßholzwurzel und werden in großen Mengen getrunken.
Digitoxin hat nur eine geringe therapeutische Breite; der Wirkstoff steht auf der Aut-idem-Liste. Der Patient muss individuell eingestellt und sorgfältig überwacht werden. Die Tabletten sollten unzerkaut vorzugsweise nach den Mahlzeiten mit reichlich Flüssigkeit eingenommen werden. Indiziert ist das Arzneimittel bei manifester chronischer Herzinsuffizienz, Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern und paroxysmalem Vorhofflimmern.
Kommunikation: Der Kunde sollte besser auf Lakritze verzichten. Anhand der Zusammensetzung lässt sich nicht immer der genaue Gehalt an Glycyrrhizinsäure in der Süßigkeit erkennen. Lediglich Produkte, die mehr als 200 mg des Pflanzeninhaltsstoffes auf 100 g enthalten, müssen als Starklakritz gekennzeichnet sein. Ein starker Kaliumverlust tritt bei einem Verzehr von etwa 600 mg auf.
Therapie: Patienten, die Nebenwirkungen verspüren, sollten einen Arzt aufsuchen und Lakritze sowie Bronchialtee umgehend absetzen. Eine regelmäßige Kontrolle der Kaliumspiegel wird generell empfohlen. Auch ein Zuviel an Kalium ist bei einer Behandlung mit Herzglykosiden zu vermeiden, daher sind auch Nahrungsergänzungsmittel vor der Einnahme stets auf ihren Kaliumgehalt zu überprüfen.
Im Falle eine Hypokaliämie kann ein Anheben des Serumkaliumspiegels erfolgen, die Patienten müssen dazu jedoch engmaschig kontrolliert und medizinisch betreut werden. Kommt es gar zu lebensbedrohlichen Intoxikationen, muss der Magen gespült werden. Liegt die Einnahme des Arzneimittels noch nicht lange zurück, kann anschließend Aktivkohle gegeben werden. Auch ein Digitalis-Antidot kann verabreicht werden.