Substitutionsapotheken: „Man muss sich von Vorurteilen lösen“ Cynthia Möthrath, 27.06.2020 15:03 Uhr
Das Feld der Substitutionstherapie ist für die meisten Apotheken nicht sonderlich attraktiv: Die Klientel ist schwierig, sie bedeutet ein hohes Maß an Mehraufwand und wirft ein schlechtes Licht auf die Apotheke – so lauten zumindest die Klischees. Doch wie sieht es wirklich in den Apotheken aus, die Substitution anbieten? Ein Apotheker und eine Apothekerin berichten über den „eigentlich gar nicht so spektakulären“ Alltag. Um ihre Kunden zu schützen, wollen sie anonym bleiben.
Meistens werben Apotheken mit ihrem breiten Angebot an verschiedensten Dienstleistungen. Sucht man jedoch über das Internet eine Apotheke, die Substitutionstherapie anbietet, so wird man nur schwer fündig. Es scheint einfach kein Dienstleistungsfeld zu sein, mit dem sich gut werben lässt. Erst kürzlich berichteten die Fachgesellschaften über ein Aussterben der Substitutionstherapie – vor allem, weil der ärztliche Nachwuchs fehlt. Doch auch die wenigsten Apotheken beschäftigen sich mit Methadon & Co. – unter anderem, weil die Vorurteile so groß sind.
Ein Kunde wie jeder andere
Dabei seien die Sorgen unbegründet, erklärt eine Apothekerin, für die die Substitution zum Alltag gehört. „Wir haben bisher durchweg gute Erfahrungen mit den Patienten gemacht“, berichtet sie. Dennoch scheuen sich viele Apotheken vor der Substitution. „Ich finde das nicht gut – wir würden ja auch keinen Kunden mit Inkontinenz oder Hautausschlag ablehnen.“ In ihrer Apotheke steigen die Zahlen der zu versorgenden Substitutionspatienten stetig an. Alles begann mit 20 Patienten, mittlerweile betreut die Apotheke rund 40 von ihnen, einige davon unter Sichtbezug.
Die Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt der Patienten ist sehr eng. Das sei sehr wichtig, denn die Patienten müssen die Apotheke von ihrer Schweigepflicht gegenüber dem Arzt entbinden. Im Falle von starkem Alkoholgeruch oder Verdachtsfällen von Beikonsum muss der Arzt nämlich eine Meldung durch die Apotheke erhalten. „Wir hatten einmal den Fall, dass jemand der normalerweise Spritzen bei uns holt und nicht im Programm ist, die Substitutionspatienten vor der Apotheke abgefangen hat – das haben wir auch gemeldet“, berichtet die Apothekerin. Solche Vorfälle seien jedoch die Seltenheit.
Von Vorurteilen und Klischees lösen
Die Zahl der zu versorgenden Substitutionspatienten soll in Zukunft noch bis auf 100 ansteigen, denn aufgrund der dünnen Versorgungslage kämen viele der Patienten auch von weiter weg. „Das ist ein wichtiges Thema und man darf diese Leute nicht im Stich lassen – für uns sind das ganz normale Patienten“, erklärt sie. Die vorherrschenden Klischees seien völlig unbegründet. „Klar hat man zu Beginn schon Vorurteile, die man eigentlich nicht haben sollte. Man muss sich selbst davon lösen.“ Man merke schon, dass die Patienten alle „eine Geschichte“ hätten – vielen sehe man es auch an. „Bei manchen vermutet man es jedoch gar nicht.“ Bei den Gesprächen kämen häufig sehr traurige Hintergründe zum Vorschein – „wir sind froh, wenn wir dann zumindest auf diese Weise helfen können“, erklärt die Apothekerin.
Vertrauen und Sorge wachsen
Viele der Patienten kenne man mittlerweile seit Jahren, das Vertrauen sei dementsprechend gewachsen. Eine jahrelange Take-home-Patientin sei beispielsweise durch Beikonsum beim Arzt positiv getestet worden. Die Konsequenz: Zurück in den Sichtbezug – mindestens für drei Monate. Für beide Seiten eine komische Situation, über die in der Apotheke des Vertrauens gesprochen wird. „Man hört einfach zu, wenn die Patienten Redebedarf haben“, erklärt die Apothekerin. Da die Patienten in der Regel täglich oder jede Woche kommen, sei man entsprechend in Sorge, wenn jemand mal nicht zur gewohnten Zeit komme. „Es ist schon ein besonderes Verhältnis, ähnlich wie zu einem guten Stammkunden.“
Hürden wegen Corona
Der Sichtbezug mache von allem die wenigste Arbeit. Für die Herstellung der Lösung sei allerdings eine PTA einen ganzen Tag beschäftigt. „Das ist schon viel Aufwand, nicht nur bei der Herstellung und Abfüllung der einzelnen Fläschchen, sondern auch bei der Dokumentation.“ Die Corona-Pandemie habe zusätzliche Hürden mit sich gebracht: „Normalerweise führen wir den Sichtbezug im Notdienstzimmer durch. Damit der Weg durch die Apotheke nun jedoch wegfällt, haben wir eine Trennwand in der Offizin aufgestellt, hinter der die Einnahme stattfinden kann“, erklärt die Apothekerin. Viele der Kunden seien zwar neugierig was es mit der Wand auf sich habe, man habe sich im Team jedoch darauf geeinigt zu erklären, dass sie zur Durchführung von Blutdruckmessungen diene. „Die Neugier ist dann meist schnell gestillt.“
Der Sichtbezug werde von den Patienten in Anspruch genommen, die zu den Sprechzeiten des Arztes nicht erscheinen können. Ist der Arzt im Urlaub, müssen alle Patienten entsprechend in der Apotheke betreut werden. Dann nutze man aufgrund er hohen Anzahl für den Sichtbezug jedoch nicht das Notdienstzimmer oder die Trennwand – sondern die Schleuse der Apotheke. „Wir richten dann feste Zeiten für die Ausgabe ein. Die Patienten müssen die Offizin dann gar nicht betreten sondern können ganz diskret über eine Seitentür versorgt werden.“
Auch die Mundschutzpflicht habe ihre Tücken mit sich gebracht: Denn manche der Sichtbezug-Patienten erhielten ihre Substitution in Tablettenform. „Die meisten haben dann nach der Einnahme direkt die Maske wieder aufgesetzt.“ Ein Patient habe dabei die Tablette in den Mundschutz gespuckt und so aus der Apotheke geschleust. Nach Rücksprache mit dem Arzt wurde besprochen, dass der Mundschutz während des Bezugs abzusetzen sei, damit eine entsprechende Kontrolle durchgeführt werden kann. „Wir müssen dann auch unter die Zunge schauen und ganz sicher sein.“ Zu Coronazeiten seien zudem die intensiven Gespräche mit den Patienten weniger geworden.
Weniger Patienten, nur Take-home
Auch bei der Betreuung von weniger Substitutionspatienten sind die Eindrücke ähnlich. „Eigentlich ist das gar nicht so aufregend“, berichtet ein anderer Apotheker. In seiner Apotheke findet derzeit kein Sichtbezug statt, lediglich sieben Patienten werden per Take-home-Versorgung betreut. „Der Großteil befindet sich wieder im Berufsleben, viele haben Familie.“ Man versuche die Versorgung daher so normal wie möglich zu gestalten.
Abzugrenzen von den Substitutionpatienten seien solche, die Spritzen und Kanülen kaufen. „Das ist definitiv ein anderes – oft auch komplizierteres – Klientel“, erklärt der Apotheker. Die Patienten im Methadonprogramm hätten schließlich den Willen ein „normales Leben“ zu führen. Daher solle auch der Umgang in der Apotheke möglichst unvoreingenommen sein. „Für viele ist das keine ja Entwöhnung mehr, sondern eher eine Dauermedikation, um überhaupt ein normales Leben leben zu können“, erklärt der Apotheker.
Versorgung selbstverständlich – trotz Mehraufwand
Rein betriebswirtschaftlich gesehen sei das Feld natürlich schlecht und daher nicht besonders attraktiv. Dennoch will der Apotheker nicht jammern: „Es gehört dazu, schließlich habe ich einen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Andere Dinge bringen dafür mehr Geld bei wirklich wenig Aufwand. Das gleicht sich irgendwie aus.“ Doch auch er sieht den Aufwand als relativ groß an: Damit die Lösung nicht mehr intravenös appliziert werden kann, wird sie in der Rezeptur mit Glukoselösung und einem Farbstoff versehen. Die entsprechenden Dosen werden dann einzeln abgefüllt und etikettiert.
Der Großteil mache keine Probleme, bei ein oder zwei Patienten frage sich der Apotheker manchmal schon, ob alles „sauber“ ablaufe außerhalb der Apotheke. Doch die Patienten würden schließlich vom Arzt auf Beikonsum getestet. „Da muss ich mich dann drauf verlassen. Selbst wenn ich manchmal Zweifel habe, kann ich diese ja nicht beweisen“, erklärt er. Grundsätzlich seien die Patienten sehr dankbar. „Die wissen schon, dass das nicht jeder macht.“ Für viele sei es extrem schwierig einen entsprechenden Arzt zu finden. Die Versorgung durch die Apotheke spreche sich hingegen schnell rum, da die Patienten „gut vernetzt“ seien.