Schlafstörungen: Was bringen Melatonin & Co.? Cynthia Möthrath, 24.02.2022 07:45 Uhr
Schlafstörungen haben in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen, dazu hat auch die Corona-Pandemie beigetragen. Laut S3-Leitlinie sollen Betroffene eigentlich von einer kognitiven Verhaltenstherapie profitieren – stattdessen greifen viele zu Schlaf- oder Nahrungsergänzungsmitteln, um eine ruhige Nacht zu haben. Das Fatale: Rx-Medikamente werden in der Apotheke wesentlich häufiger abgegeben als OTC-Produkte. Wo liegen die Risiken und was können die Helfer?
Während des Schlafs, arbeitet der Körper auf Hochtouren: Es laufen wichtige Regenerations- und Reparaturprogramme ab, die für die körperliche und psychische Gesundheit unerlässlich sind. Bei Schlafstörungen kreisen die Gedanken häufig um Alltagsprobleme – „und die Sorge nicht einschlafen zu können“, erklärt Dr. Hans-Günter Weeß von der Akademie für Schlafmedizin in Landau. „Je mehr wir schlafen wollen, umso wacher halten wir uns.“ Denn durch den krampfhaften Versuch einzuschlafen, entsteht psychische und motorische Anspannung. „Und Anspannung ist der Feind des Schlafes.“
Immer mehr Menschen sind abhängig von Schlafmitteln
Rund ein Drittel der Deutschen leidet mindestens dreimal pro Woche an Schlafproblemen, knapp 10 Prozent besitzen behandlungsbedürftige Insomnien mit einer Chronifizierungsneigung – Tendenz steigend. Zwischen ein und zwei Millionen Menschen sind hierzulande abhängig von Schlafmitteln. Als Ursache für die Schlafstörungen kristallisieren sich meist persönliche Probleme und seltener organische Gründe heraus.
Die Behandlung kann auf zwei Arten erfolgen:
- Pharmakotherapie (symptomatisch)
- Kognitive Verhaltenstherapie (kausal)
Verhaltenstherapie geht an die Ursache
Eigentlich wird von der medizinischen S3-Leitlinie Insomnie als Mittel der Wahl die Verhaltenstherapie empfohlen. „Dabei lernen Patienten wieder abzuschalten und in die Entspannung zu kommen“, erklärt Weeß. „Es handelt sich dabei um eine First-Line-Therapie – allerdings gibt es große Versorgungslücken“, erklärt der Mediziner.
Rx-Schlafmittel besonders häufig verordnet
Stattdessen greift der Großteil der Betroffenen irgendwann zu Schlafmitteln. Besonders kritisch: Rund 70 Prozent der abgegebenen Schlafmittel in Apotheken sind rezeptpflichtig, nur 23 Prozent fragen nach freiverkäuflichen Präparaten und 7 Prozent entfallen auf Nahrungsergänzungsmittel, die für einen besseren Schlaf sorgen sollen. Doch hier ist Vorsicht geboten, denn Schlafmittel packen häufig das Problem nicht an der Wurzel. Außerdem können sie Neben- oder Wechselwirkungen haben.
An erster Stelle unter den abgegebenen Schlafmitteln in der Apotheke befinden sich die Z-Substanzen. „Oft werden diese auf einem Privatrezept verordnet – das deutet an, dass es sich um eine Wunschverordnung handelt“, erklärt Apothekerin Beate Glombitza. Das Problem: Viele Betroffene nehmen die Mittel zu lange ein und sie werden insgesamt häufiger verordnet als sie eigentlich sollten. An zweiter Stelle stehen Lorazepam & Co.: Diese würden häufig auf einem rosa Rezept bei schweren Grunderkrankungen verordnet, welche Schlafprobleme mit sich bringen, erklärt Glombitza.
Hangover-Problematik in der Selbstmedikation
Im Rahmen der Selbstmedikation kommen viele mit einem konkreten Wunsch in die Apotheke. Häufig wird nach Produkten mit Doxylaminsuccinat oder Diphenhydramin gefragt. Auch diese würden zu häufig verlangt – und zu leicht abgegeben. Schließlich soll die Einnahme nur kurzzeitig erfolgen und zeitlich begrenzt werden. Besonders problematisch sei dabei der Hangover, erklärt die Apothekerin. „Viele versuchen erst mal einzuschlafen. Wenn es dann nach einigen Stunden nicht klappt, wird das Schlafmittel mitten in der Nacht eingenommen.“ Am nächsten Morgen sind dann noch die Auswirkungen zu spüren – trotzdem wird das Kind mit dem Auto in den Kindergarten gebracht oder zur Arbeit gefahren.
Lavendel, Baldrian & Co. – was können die Phytos?
Ein großes Feld decken die pflanzlichen Arzneimittel ab: Klassische Vertreter sind Baldrian, Hopfen, Melisse, Passionsblume und Lavendel. Doch auch bei der Einnahme von Baldrian und Passionsblume kommt es zu sedierenden Effekten, welche sich auf das Reaktionsvermögen auswirken können.
Lavendel wirkt vor allem angstlösend und nimmt dadurch positiven Einfluss auf den Schlaf. In Studien konnte sich das in Lasea enthaltene Arzneilavendelöl nach einigen Wochen als ebenso anxiolytisch erweisen wie 0,5 mg Lorazepam. Die Fahrtüchtigkeit bleibt jedoch erhalten, es besteht kein Missbrauchspotenzial und kein Sedierungseffekt. Die Wirkung kommt durch den Einfluss auf die Calciumkanäle zustande: Ähnlich wie bei Pregabalin werden spannungsabhängige Calciumkanäle blockiert. Es kommt zu einer geringeren Ausschüttung von erregenden Botenstoffen – die Nervenzelle kommt schließlich ins Gleichgewicht.
Eine weitere Alternative in der Selbstmedikation sind homöopathische Mittel, die häufig aus verschiedenen Komponenten bestehen und als besonders sanft gelten. Ihre Wirksamkeit beruht mehr auf Erfahrungswerten als auf wissenschaftlichen Studien. Dennoch werden sie häufig verlangt.
Melatonin: Schlafhormon in der Grauzone?
Beim Thema Nahrungsergänzungsmittel steht aktuell Melatonin hoch im Kurs. „Das ist ein Riesen-Hype. Es wird sehr viel Werbung gemacht“, meint Glombitza. „Der Markt wird regelrecht überschwemmt.“ Die Apothekerin sieht die Thematik jedoch kritisch: Denn es gibt kein einziges OTC-Arzneimittel, welches das Schlafhormon enthält und freiverkäuflich bei normalen Schlafstörungen eingesetzt werden kann – als Arzneimittel ist es demnach rezeptpflichtig und zur Therapie von Störungen im Bereich der Chronobiologie zugelassen. Freiverkäuflich sind die Melatonin-Produkte nur, weil sie als Nahrungsergänzungsmittel registriert sind. „Das ist eine rechtliche Grauzone“, meint Glombitza.
„Es gibt keine Wirksamkeitsdaten, dass Melatonin oral irgendeinen positiven Einfluss auf das Schlafvermögen hat bei moderaten Schlafstörungen“, ergänzt Weeß. „Die Bedeutung wird deutlich überschätzt. Melatonin – in allen Formen – hilft nur selten ausreichend“, so der Schlaf-Experte. Melatonin erfreut sich aktuell größter Beliebtheit – auch weil es als besonders natürlich angepriesen wird. Das Argument, es würde sich um ein körpereigenes Hormon handeln, findet Glombitza jedoch nicht überzeugend: „L-Thyroxin und Testosteron sind auch körpereigene Hormone – trotzdem würde ich mir die nicht einfach unter die Zunge sprühen“, meint die Apothekerin.