Schlafstörungen: Keine Angst vor Antihistaminika Alexandra Negt, 14.06.2022 14:48 Uhr
Schlafstörungen beeinträchtigen den Alltag von Betroffenen zum Teil stark. Oftmals versuchen die Patient:innen, die Probleme mit Hausmittelchen in den Griff zu bekommen – zu groß ist die Angst vor einer Abhängigkeit nach Schlafmitteln. Dabei sollte diese gar nicht im Vordergrund stehen, wie Professor Dr. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité, im Webinar von APOTHEKE ADHOC erklärte. Er warnt vor einer Chronifizierung der Schlafprobleme.
Schlafstörungen nehmen seit mehreren Jahren stetig zu. 30 bis 40 Prozent der Erwachsenen schlafen kürzer als empfohlen, aber auch bereits 31 Prozent der 10- bis 13-Jährigen und 26 Prozent der Jugendlichen. Nur jeder vierte ältere Mensch schläft überhaupt gut, so Fietze.
Eine Insomnie liegt laut Definition vor, wenn man vor dem Einschlafen (Einschlafstörung) oder nachts (Durchschlafstörung) mehr als 30 Minuten wach liegt und weniger als 85 Prozent der Bettliegezeit auch tatsächlich schläft. Treten die Beschwerden mindestens drei Nächte pro Woche auf, gibt es Handlungsbedarf. Denn das Zeitfenster, um durch die Einnahme von rezeptfreien Schlafmitteln eine Chronifizierung der Schlafprobleme zu verhindern, schließt sich schnell: „Per Definition gelten Schlafstörungen als chronisch, wenn sie länger als drei Monate andauern“, so Fietze.
Für ihn sind Antihistaminika wie Diphenhydramin oder Doxylamin als OTC-Variante die beste Empfehlung bei akuten Schlafstörungen und bei gelegentlichen Schlafstörungen. „Man sollte aber über den möglichen Überhang aufklären.“ Das Fatale: Rx-Medikamente werden in der Apotheke wesentlich häufiger abgegeben als OTC-Produkte – sowohl Apotheker:innen und PTA als auch die Betroffenen selbst scheuen sich vor dem Einsatz von Hoggar, Vivinox, Schlafsternen & Co.
Abhängigkeit vs. Chronifizierung
Beim Thema Abhängigkeit verweist Fietze auf das generelle Risiko: „Aus meiner Sicht wird man psychologisch abhängig von derjenigen Therapie, die hilft – egal ob Brille, Insulin, Schmerzmittel oder Schlafmittel.“ Er kann von Praxisbeispielen berichten, bei denen Patient:innen Antihistaminika über Monate mit gutem Erfolg und ohne Wirkverlust eingenommen haben. Solch eine lange Einnahme kann der Schlafmediziner aufgrund fehlender wissenschaftlicher Daten nicht empfehlen: „Da man diese Mittel nicht länger als vier Wochen regelmäßig nehmen soll, empfehle ich dies auch.“ Auslassversuche sollten regelmäßig unternommen werden.
Kommen Patient:innen mit einem Rezept über Schlafmittel in die Apotheke, so sind meistens Z-Substanzen verordnet. Zolpidem und Zopiclon wirken stärker als Antihistaminika. Ein wissenschaftlicher Vergleich zwischen den OTC- und Rx-Wirkstoffen fehlt jedoch. „Leider liegen keine Studien hierzu vor. Aus eigener Erfahrung empfehlen wir in der Reihenfolge der Wirkstärke zuerst Eszopiclon, danach Zopiclon und danach – weil am potentesten – Zolpidem. Sie sollen zur Anwendung kommen bei allen schweren Insomnikern, die keine psychische Erkrankung haben.“ Liegen psychische Begleiterkrankungen vor, so seien schlaffördernde Psychopharmaka Mittel der Wahl.
Schlafmangel und Alzheimer
Schlafmangel beeinflusst nicht nur die Leistungsfähigkeit am Folgetag, sondern auch weitere physiologische Vorgänge im Körper. So weisen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen Schlafmangel und Alzheimer bestehen könnte. „Ist der Schlaf dauerhaft zu kurz oder nur von schlechter Qualität, so stellt dies einen Risikofaktor für Demenz/Alzheimer dar“, so Fietze. „Ist der Schlaf kürzer als sechs Stunden, zeigt sich am nächsten Tag eine höhere Tau- und ß-Amyloid Konzentration.“ Und der Mediziner weist darauf hin, dass es bei der Dauer des Schlafes um die Dauer in der Nacht geht: „Der gesunde Nachtschlaf im Alter schützt vor Alzheimer/Demenz, nicht der Mittagsschlaf.“
Schlaf als Regenerationsphase: Während des Schlafs arbeitet der Körper auf Hochtouren. Es laufen wichtige Regenerations- und Reparaturprogramme ab, die für die körperliche und psychische Gesundheit unerlässlich sind. Rund ein Drittel der Deutschen leidet mindestens dreimal pro Woche an Schlafproblemen, bei knapp 10 Prozent sind es behandlungsbedürftige Insomnien mit einer Chronifizierungsneigung – Tendenz steigend. Als Ursache für die Schlafstörungen kristallisieren sich meist persönliche Probleme und seltener organische Gründe heraus.