Die Herstellung von Rezepturen gehört in vielen Apotheken zu den eher unbeliebten Aufgaben. Oft werden sie zwischen HV-Tisch und Telefon angefertigt und sind vor allem lästig. Apotheker Dr. Simon Krivec hat sich mit seiner Adler Apotheke in Moers auf den Bereich spezialisiert. Er sieht zahlreiche Vorteile, auch seine Mitarbeiter:innen und die Kundschaft stehen individuellen Zubereitungen positiv gegenüber.
Es ist Dienstagmittag: Eine junge Mutter kommt mit einem Rezept über Kapseln für ihr Kind in die Apotheke. Sie müssen eigens für den kleinen Patienten angefertigt werden. Den meisten Teams würden nun schon die Schweißperlen auf der Stirn stehen, denn die Herstellung von Rezepturen ist oft unbeliebt – das gilt vor allem für spezielle Darreichungsformen abseits von Creme und Lösung.
In der Adler Apotheke in Moers sind solche Anfertigungen jedoch keine Seltenheit – sie gehören zum täglichen Brot der Apotheke. „In vielen Apotheken werden nicht mehr jeden Tag Rezepturen hergestellt“, weiß auch Krivec. Bei ihm ist die Rezeptur jedoch täglich von 9 bis 18 Uhr besetzt. Insgesamt vier PTA arbeiten rund 120 Stunden pro Woche an verschiedenen Cremes, Lösungen, Kapseln und vielem mehr.
Die Arbeit sei vor allem deshalb so unbeliebt, weil sie zeitaufwändig ist. „Dabei macht sie das apothekerliche Handwerk aus und grenzt uns vom Versandhandel ab“, findet der Inhaber. „Das wird auf lange Sicht auch von den Kunden honoriert.“ Denn mittlerweile hat sich in Moers und Umgebung herumgesprochen, dass viele Cremes in der Adler Apotheke schon auf Vorrat bereitliegen. Viele Kund:innen kämen gezielt zu ihm – auch von weiter her. „Kunden bekommen von uns nicht zu hören, dass sie am Folgetag oder sogar noch später wiederkommen sollen.“ Rund 100 Rezepturen – die Favoriten der umliegenden Dermatologen – würden im Defekturmaßstab produziert und lägen griffbereit.
Seltenere Herstellungen werden laut Krivec in der Regel innerhalb kurzer Zeit angefertigt, sodass die Kund:innen in der Zwischenzeit etwas erledigen können. „Da wir viele Rezepturen machen, haben wir die meisten Ausgangsstoffe auch da und können somit auch spontan mal eine seltenere Rezeptur herstellen – denn das Labor ist bei uns immer besetzt“, erklärt Krivec.
Die PTA in der Rezeptur werden gezielt für das Labor eingeteilt. Ein „Switchen“ zwischen HV-Tisch und Rezepturwaage gibt es nicht. Das komme schließlich auch der Qualität zugute: Die PTA könnten ungestört und konzentriert arbeiten und seien wesentlich routinierter und damit auch schneller. Rund 100 Rezepturen pro Tag und 30.000 pro Jahr würden in der Apotheke angefertigt, viele davon im Defekturmaßstab. Dabei arbeite das Team aus Labor und HV Hand in Hand, obwohl die Bereiche klar voneinander getrennt sind. „Wenn die Vorräte zur Neige gehen, bekommt das Laborteam Bescheid und weiß, dass es nachproduzieren muss.“ Seit rund zehn Jahren wird diese Trennung in Moers vollzogen – mit Erfolg.
Für das Team ergeben sich durch die Teilung von HV und Labor ebenfalls Vorteile: „Ich kann viel besser auf die jeweiligen Neigungen der Mitarbeiterinnen eingehen“, erklärt Krivec. So könnten beispielsweise PTA, die den Kundenkontakt scheuen, ausschließlich im Labor eingesetzt werden – anstatt zur Industrie oder in andere Bereiche „abzuwandern“. Andersherum müssten sich die PTA im HV-Bereich nicht mit Rezepturen beschäftigen und könnten sich auf die Beratung konzentrieren. Auch ein Einsatz in beiden Bereichen sei denkbar – allerdings nur mit fester Planung.
Krivec sieht weitere Vorteile: Wenn jemand irgendwann keine Lust mehr auf die Kundenberatung hat – oder andersherum doch wieder die HV-Arbeit gewünscht wird – kann intern gewechselt werden. „In anderen Apotheken würde das Arbeitsverhältnis dann vielleicht enden – hier können wir aber viel flexibler auf die Wünsche eingehen. Dadurch wechselt bei uns das Personal nur selten.“ Das gelte beispielsweise auch für schwangere Kolleginnen, die vorübergehend nicht mehr im Labor arbeiten dürfen.
Auch PTA Lisa-Marie Genender hat sich unter anderem wegen des Rezepturschwerpunkts für die Apotheke entschieden. Seit Anfang des Jahres ist sie in der Adler Apotheke tätig. „Dafür fahre ich gerne ein paar Kilometer mehr“, meint sie. Genender hat sich für eine 50/50-Verteilung entschieden. „Für mich ist die Arbeit im Labor ein Ausgleich zur Kundenberatung.“ Für die 28-Jährige die „perfekte Mischung“. Außerdem sehe man nicht nur die „öden Kortison-Rezepturen, die jede Apotheke mal hat“, sondern auch seltene Fälle: Neben vielen Krankenhausrezepturen würden beispielsweise auch ein Fentanyl-Nasenspray, verschiedene Kapseln für Kleinkinder, Zubereitungen für die Proktologie oder sterile Rezepturen mittels Laminar Air Flow hergestellt. „Hier kann man sich wirklich austoben – das ist eine Chance, die man nicht überall hat.“
Doch wie alles hat auch der Rezepturschwerpunkt seine Problemseiten: Diese sieht Krivec vor allem bei der Dokumentation. „Das wird immer mehr und macht uns natürlich auch zu schaffen.“ Viele Ärzte kämen zudem mittlerweile mit Spezialrezepturen für den Sprechstundenbedarf zu ihnen. „Wir probieren viel aus und schauen was funktioniert und was nicht – da wird manchmal dann auch etwas entsorgt, das bleibt nicht aus.“
Eine weitere Hürde sei die Buchung von Teilmengen im Rahmen der Methadonversorgung. Die Kartei wird daher in der Apotheke noch händisch geführt. Das sei zwar aufwendig, ein Automat habe jedoch ebenfalls seine Tücken und sei derzeit keine Alternative. Rund 20 bis 25 Prozent der Arbeitskraft mache aktuell die individuelle Zusammenstellung für die Patient:innen aus dem Methadonprogramm aus. Seitdem die BtM-Vergütung gestiegen ist, sei die Arbeit zumindest kostenneutral – vorher sei das nicht der Fall gewesen.
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