Der Streit um den Vertrieb von Opiumtinkturen wird weiter über die Apotheken ausgetragen. Die Firma Innocur warnt die Apotheken in einem Schreiben vor der Abgabe von Tinctura Opii normata Ph.Eur. der Firma Maros. Innocur vertreibt in Deutschland das Fertigarzeimittel Dropizol des dänischen Herstellers Pharmanovia A/S. Über dessen Rechtsstreit mit einem Apotheker berichtet Innocur. Maros verweist dagegen auf die eigene Zulassung und anderslautende Gerichtsentscheidungen.
Das Telefon von Maros-Geschäftsführer Dr. Norbert Brand stand gestern nicht still. Verunsicherte Apotheker riefen an und fragten, ob sie die Opiumtinktur weiterhin als Rezeptur abgeben dürfen. Auslöser war jenes Schreiben, das Innocur an die Apotheken verschickt hatte. Titel: „Apotheke bleibt die Abgabe von der Maros Arznei GmbH bezogenen Tinctura Opii normata Ph.Eur. Opiumtinktur verboten.“ Was in dieser etwas verkürzten Darstellung gut versteckt ist: Es geht tatsächlich nur um einen Hamburger Apotheker, der von Pharmanovia verklagt wurde.
Innocur-Geschäftsführer Dr. Giuseppe Gianni und der Medizinische Leiter Professor Dr. Thomas Bauknecht verweisen auf diesen Rechtsstreit vor dem LG Hamburg. Der angegriffene Apotheker hatte die Opiumtinktur von Maros als Rezeptarzneimittel abgegeben. Da die als Rohstoff vertriebene Tinktur in diesen Fällen nur umgefüllt und neu etikettiert wird, handelt es sich aus Sicht von Innocur nicht um ein „wahres“ Rezepturarzneimittel.
Im Eilverfahren folgte das Landgericht Hamburg offenbar dieser Auffassung. Laut dem Innocur-Schreiben akzeptierte der Apotheker die einstweilige Verfügung des Gerichts und gab eine entsprechende Abschlusserklärung ab. Der Beschluss des LG ist noch nicht veröffentlicht, Innocur zitiert in seinem Schreiben aber nach eigenen Angaben daraus. Voraussetzung für den Vertrieb einer Rezeptur sei demnach, dass das Mittel tatsächlich aufgrund einer individuellen Rezeptur hergestellt wird. Das sei nicht der Fall, wenn der gebrauchsfertige Wirkstoff nur unverändert umgefüllt werde.
Innocur stellt klar, dass auch Maros seine Tinktur weiterhin als Rohstoff an Apotheken verkaufen darf. „Apotheken ist es hingegen untersagt, die als Rohstoff bezogene Opiumtinktur ohne Veränderung der Wirksubstanz an den Endverbraucher abzugeben, es sei denn, der Apotheker hat zuvor eine Arzneimittelzulassung nach § 21 AMG für das hergestellte Präparat erwirkt“, so die Firma.
Formal untersagt ist dies in erster Linie dem betroffenen Hamburger Apotheker – und auch nur mit der im Einzelfall verhandelten Opiumtinktur. Zwar könnte Pharmanovia mit dem Beschluss in der Tasche durchaus weitere Apotheken angehen, die Opiumtinkturen abfüllen und als Rezepturarzeimittel abgegeben. Der Hersteller müsste die eigenen Ansprüche aber gegebenenfalls in eigenen Verfahren vor anderen Gerichten durchsetzen.
Doch Innocur warnt alle Apotheken, die Opiumtinktur nur abzufüllen und ohne Veränderung der Wirksubstanz abzugeben: „Das sich aus einer solchen Weitergabe von fertig hergestellter Opiumtinktur ergebende zivilrechtliche und strafrechtliche Risiko bleibt allein beim Apotheker.“ Und nicht nur das: „Die Abrechnung der Apothekenherstellung aufgrund der Hilfstaxe stellt sich wiederum deshalb als problematisch dar, als die Abrechnung nach Hilfstaxe nur für „wahre“ Rezepturarzneimittel zulässig ist.“ Bei einer Opiumtinktur, die in Wahrheit ein nicht zugelassenes Fertigarzneimittel sei, „ist die Zulässigkeit der Abrechnung auf der Grundlage der Hilfstaxe nicht nur sozialrechtlich fraglich, sondern könnte unter Umständen auch als Abrechnungsbetrug angesehen werden“, so Innocur.
Das sind schwere Geschütze: Den Apotheken droht demnach nicht nur die Retaxierung durch Krankenkassen, sondern im schlimmsten Fall gar die Verfolgung durch den Staatsanwalt. In der Praxis sind solche Vorkommnisse allerdings bislang nicht bekannt geworden.
Maros-Geschäftsführer Brand macht sich deshalb noch nicht allzu große Sorgen: „Die Bundesopiumstelle segnet unser Tun seit vielen Jahren ab“, sagte der Geschäftsführer gegenüber APOTHEKE ADHOC. Und auch die Krankenkassen erstatteten die Rezepturen ohne Beanstandungen. Ihm sei nicht bekannt, dass eine Apotheke wegen der Opiumtinktur retaxiert worden sei. „Und davon hätte ich erfahren“, so der Maros-Geschäftsführer. Zudem verweist er auf den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts, das den Vertrieb der Opiumtinktur genehmigt hatte.
Was Brand an dem Fall besonders ärgert: „Es wird wieder die Apotheke als Ort der Rezeptur-Herstellung angegriffen. Dabei hat in der Pandemie jeder gesehen, dass man die Herstellungskompetenz der Apotheken nicht kaputtmachen sollte.“ Für die Firma Maros ist die Auseinandersetzung dennoch von existenzieller Bedeutung – der Hersteller macht den Großteil seines Umsatzes mit der Opiumtinktur und wird deshalb weiterhin für die Rezeptur setzen.
Doch auch für die Apotheken ist der Rechtsstreit von Relevanz: Sollte sich die Sichtweise der LG Hamburg durchsetzen, können weitere Produkte in den Fokus geraten, die in der Apotheke maßgeblich nur umgefüllt werden: Zinkoxidschüttelmixtur, Salbeiblätter oder Essigsaure Tonerde etwa.
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