Herz am Limit Dr. Eva-Maria Lippke, 08.02.2016 13:55 Uhr
Etwa 10 Prozent der über 75-Jährigen in Deutschland leiden an Herzinsuffizienz, wobei Männer dreimal häufiger betroffen sind als Frauen. Bei der Erkrankung ist das Herz nicht mehr in der Lage, den Körper ausreichend mit Blut und folglich Sauerstoff zu versorgen – der Organismus gerät in einen Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt. Ein Fallbeispiel aus der öffentlichen Apotheke.
Fall: Patient, 73 Jahre alt, klagt in der Apotheke über seine sich verschlimmernde nächtliche Atemnot. Die Beine werden immer dicker; er fühlt sich schlapp und ausgelaugt. Der Weg zur Apotheke ist eigentlich nicht weit, er konnte es aber nur mit Pausen schaffen. Der Mann kommt vom Hausarzt: Die neuen Präparate, die aufgeschrieben wurden, will er erst einmal nicht nehmen: So viele Medikamente könnten nicht gesund sein. Seine Rezepte sind ausgestellt für Torasemid 5mg; Metoprolol retard 50mg; Ramipril 5mg und Spironolacton 25mg.
Analyse: Der Patient leidet an Herzinsuffizienz. Die schwer zu bewältigenden Gehstrecken sind ein Anzeichen für die verminderte Funktion des Herzens. Die „dicken Beine“ und die Verordnung über zwei entwässernde Mittel geben Anzeichen für die Ödeme, auch genannt: venöses Pooling. Bei eingeschränkter Pumpleistung sammelt sich das Blut in den großen Venen, der Körper schafft es nicht mehr, die Flüssigkeit zurückzuholen. Um keinen kompletten „Stau“ zu entwickeln, geht die überschüssige Flüssigkeit ins Gewebe. Die Atemnot lässt sich mit der geringen Auswurfleistung des Herzens in den Lungenkreislauf erklären. Es kommt zu wenig Blut in die Lunge an, um ausreichend Sauerstoff aufzunehmen und den Körper damit zu versorgen. Nachts ist Atemnot meist schlimmer, weil der Körper in einer Ebene liegt und die Schwerkraft zusätzlich einen Rückfluss erschwert.
Die pathologischen Prozesse werden durch positive Rückkopplung verstärkt und damit das klinische Bild noch verschlimmert – ein Circulus vitiosus, umgangssprachlich Teufelskreis. Weil die Auswurfleistung des Herzens vermindert ist und das Blut, das in den großen Körperkreislauf ausgestoßen wird, nicht ausreicht, schlagen die Sensoren in den Gefäßen Alarm und versetzen den Organismus in Ausnahmenstand: Neurotransmitter sollen direkt am Herzen wirken und die Pumpleistung steigern. Die Niere schüttet Substanzen aus, die das Blutvolumen erhöhen und den Gefäßdurchmesser verringern. Folge: Die Niere schickt mehr Flüssigkeit, obwohl schon das normale Volumen nicht zu bewältigen ist. Das Herz – ohnehin auf Anschlag – wird noch mehr gefordert und reagiert im schlimmsten Fall mit Funktionsverlust. Die Kapitulation des Körpers bezeichnen Fachärzte als Remodelling.
Kommunikation: Bei Herzinsuffizienz ist Therapietreue von essentieller Bedeutung. Nur wenn der Kreislauf durch eine Entwässerung entlastet werden kann, besteht die Chance, dass sich das Herz erholt und seine Arbeit wieder effektiv aufnehmen kann. Eine forcierte Diurese kann für Patienten unangenehm sein: Das häufigere Wasserlassen und der vorschnelle Flüssigkeitsentzug können zu Schwindelgefühl führen. Die Patienten sollten wenig trinken – eine geregelte Flüssigkeitszufuhr bis zu 1,5 Liter sollte nicht überschritten werden. Die Empfehlung, das Fußteil des Bettes etwas anzuheben, fördert den venösen Rückfluss und wirkt gegen die Ödeme. Zu Beginn der Therapie kann es sein, dass die Patienten erschöpfter sind – die Nebenwirkungen relativieren sich aber nach der Einstellungsphase.
Therapie: Das Schleifendiuretikum Torasemid greift regulierend in den Flüssigkeitshaushalt ein. Bei manchen Patienten wirken Thiaziddiuretika (Hydrochlorothiazid) nicht mehr richtig, weswegen auf Torasemid zurückgegriffen werden kann. Als Hemmstoff des Angiotensin-Converting-Enzyme (ACE-Hemmer) greift Ramipril in die sogenannte Renin-Angiotensin-Aldosteron-Kaskade ein: Angiotensin II wirkt über seine Rezeptoren blutdrucksteigernd durch eine direkte Verengung der Blutgefäße (Vasokonstriktion). Zusätzlich regt es die Bildung von Aldosteron in der Niere an, das die Ausscheidung von Natrium und Wasser und die Retention von Kalium fördert. Spironolacton beeinflusst als Aldosteron-Antagonist den Elektrolythaushalt und bewirkt eine sanfte Diurese. Der Einsatz des Betablockers Metoprolol wirkt auf den ersten Blick kontraproduktiv, senkt er doch die Herzleistung. Bei der Insuffizienz kann der Wirkstoff jedoch, vorsichtig eintitriert, den Teufelskreis stoppen. Die ausgeschütteten Neurotransmitter können nicht mehr am Herz zur Wirkung kommen und es kann sich erholen.
Die multifaktorielle Therapie ist bei der Herzinsuffizienz wichtig. Da das Krankheitsgeschehen auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet, müssen die Arzneimittel auch an verschiedenen Stellen angreifen. Der Patient muss verstehen: Eine einzige Wunderpille gibt es nicht; sein Herz hat auch nicht nur einen Kopf zum An-und Ausschalten. Erklärt man dem Patienten den Teufelskreis in seinem „müden Herzen“, versteht er die Relevanz der medikamentösen Therapie. Je schneller und effektiver gegengesteuert wird, desto besser. Die Arzneimittel helfen, dass das Herz sich erholen und mit seiner ihm zur Verfügung stehenden Kraft doch noch ausreichend arbeiten kann. Die Medikamente helfen, sich besser zu fühlen und Spätfolgen zu verhindern.