Aufruhr im Gelenk Dr. Kerstin Neumann, 19.02.2016 11:32 Uhr
Ein akuter Gichtanfall ist eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit. Ältere Patienten sind etwas häufiger betroffen, insbesondere wenn gleichzeitig Bewegungsmangel und ein ungesunder Lebenswandel bestehen. Da diese Patienten häufig Medikamente gegen Bluthochdruck einnehmen, muss auf die richtige Auswahl geachtet werden: Einige Blutdrucksenker fördern die Entstehung von Gicht. Häufig auftretende Nebenwirkungen der Gicht-Behandlung können mit OTC-Präparaten behandelt werden.
Fall: Patient, 59 Jahre, kommt mit einem Rezept aus der Notfallambulanz über Colchicin 0,5 mg, 10 Stück und Ibuprofen 600 mg, 20 Stück, in die Apotheke. Er berichtet, dass er seit gestern fast unerträgliche Schmerzen in den Zehen hat und die zu Hause vorrätigen Paracetamol-Schmerztabletten nicht geholfen haben. Er habe die Nacht kaum schlafen können. Er sei erst spät von einer anstrengenden Geschäftsreise zurückgekommen, an Nachtruhe sei nicht zu denken gewesen. Auf Nachfrage berichtet er, dass am Vorabend noch ein Abendessen mit Kollegen stattgefunden hat, bei dem ein reichhaltiges Essen und einige Flaschen Wein verzehrt wurden. Der Patient achtet allgemein auf sein Gewicht, kann aber nach eigenem Bekunden nur wenig Sport treiben. Seine Arthrose habe er durch regelmäßige Spaziergänge recht gut im Griff. Weiterhin achtet er genau darauf, seine blutdrucksenkende Medikation aus Ramipril plus HCT 2,5/12,5 mg regelmäßig einzunehmen. In der Notfallambulanz habe er über diese Medikation nicht gesprochen, er sei aber auch nicht danach gefragt worden.
Analyse: Der Patient hat offenbar einen Gichtanfall erlitten. Ein zu hoher Gehalt von Harnsäure im Körper führt zur Ablagerung kleiner Kristalle in Zehen- und Kniegelenken, die zu starken Schmerzen führen. Gicht tritt in Schüben auf: Meist liegen mehrere Wochen oder Monate zwischen dem Ausbruch der Schmerzen. Das Ziel muss sein, den Anfall akut zu behandeln, aber auch zwischen den Anfällen den Harnsäurespiegel zu verringern. Der Wirkstoff Colchicin wird vom Arzt für akute Schübe der Gicht verschrieben. Die Beschwerden sind oft so stark, dass zusätzlich mit einer hohen Dosis nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR) behandelt werden muss. Für die langfristige Behandlung sollte aber noch Allopurinol vom Arzt verschrieben werden.
Die Medikamente zur Behandlung des Bluthochdrucks sind für Gichtpatienten nicht optimal. Es ist bekannt, dass ACE-Hemmer wie Ramipril und Diuretika wie Hydrochlorothiazid das Risiko für die Entstehung von Gichtanfällen erhöhen können. In diesem Fall ist es sinnvoll, auf andere Medikamente gegen Bluthochdruck auszuweichen. Der Patient ist nicht übergewichtig, führt aber berufsbedingt offensichtlich einen recht ungesunden Lebensstil. Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung können die Entstehung von Gicht begünstigen.
Kommunikation: Die PTA kann den besorgten Patienten zunächst beruhigen: Mit der Einnahme von Colchicin werden die Schmerzen mit hoher Sicherheit innerhalb der nächsten Stunden deutlich nachlassen. Dem Patienten sollte aber unbedingt geraten werden, möglichst schnell mit seinem behandelnden Hausarzt zu sprechen. Die Medikation gegen den Bluthochdruck muss geprüft und möglichst ausgetauscht werden. Außerdem sollte der Arzt weitere Untersuchungen durchführen, um den Harnsäurespiegel im Blut zu prüfen und eine langfristige Gichttherapie mit Allopurinol einzuleiten. Hinweisen sollte man den Patienten auf die Risikofaktoren für Gichtanfälle. Die Spaziergänge sollten unbedingt weiterhin durchgeführt werden. Fahrradfahren hilft nicht nur gegen Gicht, sondern hält auch die Arthrose in Schach. Alkohol- und Fettkonsum müssen in jedem Fall gering gehalten werden.
Therapie: Die Entstehung der Harnsäurekristalle in den Gelenken ruft eine Entzündungsreaktion hervor. Dabei werden neutrophile Granulozyten angelockt und aktiviert. Diese wiederum aktivieren weitere Entzündungsmediatoren – die Folge sind die starken Schmerzen, mitunter eine Rötung und Schwellung der Zehen- oder Kniegelenke. Colchicin vermindert die Entzündungsreaktion, indem es die Aktivität der Granulozyten hemmt. Das Mittel hat im Vergleich zu anderen Medikamenten, die im akuten Gichtanfall verwendet werden können, schwerere Nebenwirkungen: In 80 Prozent der Fälle tritt Durchfall auf. Prophylaktisch kann dem Patienten ein rezeptfreies Antidiarrhoikum wie Loperamid mitgegeben werden.
Sollte der Patient Colchicin schlecht vertragen, kann bei zukünftigen Anfällen auf eine Kortisontherapie gewechselt werden. Der Hausarzt sollte außerdem erwägen, die antihypertensive Medikation auszutauschen. Bei Gichtpatienten hat sich die Gabe von Calciumantagonisten wie Amlodipin bewährt. Außerdem kann der Angiotensinantagonist Losartan angewendet werden, dem sogar eine harnsäuresenkende Wirkung zugeschrieben wird. Allopurinol wird für die Senkung der Harnsäurespiegel eingesetzt. Es hemmt das Enzym Xanthinoxidase, welches für die Bildung von Harnsäue aus den Vorstufen verantwortlich ist.