Depressionen werden bei älteren Menschen häufig nicht erkannt oder nicht ernst genommen. Typische Symptome wie Interessenverlust oder Müdigkeit werden schnell als altersbedingt abgetan – bei Senioren treten schließlich naturgemäß häufiger Krankheiten auf als bei anderen Menschen. Wenn körperliche Symptome dominieren und der alte Mensch sein Leid nicht zeigen möchte, braucht es viel Feingefühl – und die richtige medikamentöse Unterstützung.
Fall: Eine ältere Dame von 72 Jahren ist seit Jahren Stammkundin und eine fröhliche, lebenslustige Frau. Seit dem plötzlichen Tod ihres Mannes vor einem Jahr lebt sie allein und kommt seltener in die Apotheke als zuvor. Sie wirkt niedergeschlagen und berichtet, dass sie seit einiger Zeit immer wieder unter Schwindel leidet. Dagegen möchte sie etwas tun. Auf Nachfrage berichtet sie außerdem, dass sie häufiger müde ist als früher und manchmal Magenschmerzen hat. Das sei aber nicht so schlimm. Viel mehr belaste sie, dass sie inzwischen so oft Dinge vergesse. Warum das so sei, wisse sie auch nicht, sie sei eben einfach nicht mehr die Jüngste. Der Blick in die Kundendaten besagt, dass sie außer dem seit vielen Jahren verschriebenen Bluthochdruckmedikament Candesartan keine Dauermedikation erhält.
Analyse: Die Symptome, die die Frau beschreibt, klingen zunächst recht harmlos und haben keinen direkten Zusammenhang. Allerdings hat die Dame vor einem Jahr einen schweren Verlust erlitten. Häufig geht dies mit dem Auftreten von milden bis mittelschweren depressiven Verstimmungen einher. Der Verlust sozialer Kontakte im Alter und das vermehrte Auftreten von körperlichen Beschwerden tragen zusätzlich dazu bei, dass depressive Verstimmungen länger andauern als bei jüngeren Menschen. Zusätzlich ist es bei Senioren oft besonders schwer, eine Depression zu erkennen, weil die Symptome oft von anderen Erkrankungen überlagert werden können. Senioren neigen außerdem häufiger als jüngere Menschen dazu, psychosomatische Störungen als unwichtig abzutun.
Wichtige Symptome einer Altersdepression sind das häufige Klagen über Gedächtnisstörungen – die sogenannte Pseudodemenz, Schlafstörungen und Schwindel. Häufig werden die eigenen Defizite zwar häufig erwähnt, gleichzeitig aber relativiert. „Das ist ja normal in meinem Alter“, ist eine oft gebrauchte Formulierung. Im Zusammenhang mit Depressionen treten besonders bei Frauen häufig Rückenschmerzen, Magenbeschwerden sowie Schwindel auf. Eine klare Diagnose, ob tatsächlich eine Depression vorliegt, kann nur ein Arzt feststellen. Man muss die Symptome kennen, um die betroffene Person zu überzeugen, sich in medizinische Behandlung zu begeben.
Kommunikation: In der Apotheke findet zunächst eine Klärung statt, ob die Beschwerden eine körperliche Ursache haben. Schwindel kann beispielsweise auch eine Nebenwirkung des Antihypertonikums sein – bei Candesartan tritt dies häufig auf. Sollte sich das Schwindelgefühl aber zeitlich unabhängig von der Medikation entwickelt haben, lässt dies auf eine andere Ursache schließen. Dies sollte in jedem Fall medizinisch bestätigt werden. Wichtig ist außerdem, die Patientin zu ihren Lebensgewohnheiten zu befragen. Hat sich das Leben seit dem Verlust des Partners stark verändert? Bestehen regelmäßige soziale Kontakte? Gibt es einen strukturierten Tagesablauf? Bei der Befragung muss mit viel Vorsicht und Feingefühl vorgegangen werden. Sollte sich die Vermutung erhärten, dass die Beschwerden der Kundin psychosomatische Ursachen haben können, kann die Empfehlung des Arztbesuches durch die PTA ein wichtiger Fingerzeig sein.
Therapie: Gegen Schwindelgefühl und Magenprobleme kann zunächst symptomatisch vorgegangen werden, um die akuten Beschwerden der Kundin zu lindern. Gerade die Behandlung von Schwindel darf in der Selbstmedikation aber nur kurzfristig erfolgen. Häufig wird zunächst auf pflanzliche Medikamente zurückgegriffen. So wird beispielsweise Ginkgo wegen seiner durchblutungsfördernden Wirkung auch bei Schwindel eingesetzt. Sollte sich der Verdacht auf Depression bestätigen, ist es sinnvoll, den Einsatz von Antidepressiva in Erwägung zu ziehen. Nach den aktuellen Leitlinien zur Behandlung von Depressionen gelten für ältere Menschen inzwischen die gleichen Empfehlungen wie für jüngere Patienten. Allerdings ist bei ihnen das Nebenwirkungsprofil beziehungsweise die Verträglichkeit der Medikamente mehr zu beachten.
Als Mittel der Wahl gelten die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Citalopram und Sertralin sowie die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Venlafaxin und Duloxetin. Alle Substanzen verstärken im zentralen Nervensystem die Wirkung der Neurotransmitter. Sie sind nebenwirkungsärmer als die älteren trizyklischen Antidepressiva, können aber vor allem in der Anfangsphase zu Unruhe und Übelkeit führen. Nach wie vor werden auch Johanniskrautpräparate gemäß der Leitlinien als pflanzliche Alternative bei leichten und mittelschweren Depressionen empfohlen. Die Auswahlmöglichkeiten sind also groß. Für die Patientin ist dabei wichtig zu wissen, dass eine antidepressive Wirkung nicht sofort einsetzt. Zunächst scheinen die Medikamente oft die Situation zu verschlechtern, da zuerst Nebenwirkungen auftreten könnten. Hier ist es sehr wichtig, die Patientin eng zu betreuen und zu motivieren – das kann auch in der Apotheke geschehen.
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