Antikoagulanzien wie Phenprocoumon können zahlreiche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Lebensmitteln haben. Wahrscheinlich ist auch eine Interaktion zwischen dem Vitamin-K-Antagonisten und dem Analgetikum Tilidin/Naloxon.
Fall: Eine Kundin wird mit Phenprocoumon behandelt, da sie an Vorhofflimmern leidet. Sie überprüft regelmäßig selbstständig ihre INR-Werte und ist gut eingestellt. Da sie seit geraumer Zeit unter starken Schmerzen leidet, hat sie Tilidin/Naloxon verordnet bekommen. Nun möchte sie wissen, ob sie beide Medikamente zusammen anwenden kann.
Analyse: Phenprocoumon gehört zur Gruppe der 4-Hydroxycumarine und ist ein Vitamin-K-Antagonist. Der Arzneistoff vermindert die Vitamin-K-vermittelte Aktivierung der Gerinnungsfaktoren. Die Wirkung setzt erst ein, wenn alle noch im Körper vorhandenen Gerinnungsfaktoren verbraucht sind. Die Dosierung erfolgt individuell und wird zum Beispiel durch die Bestimmung der Thromboplastin-Zeit eingestellt. Hierzu kann die Messung des International Normalized Ratio (INR) herangezogen. Die Blutgerinnung muss während der Therapie fortlaufend kontrolliert werden. Der Vitamin-K-Antagonist dient der Behandlung und Prophylaxe einer Thrombose und Embolie. Der Wirkstoff kann ebenfalls zur Langzeitbehandlung eines Herzinfarktes eingesetzt werden, wenn ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Komplikationen besteht.
Tildin/Naloxon wird zur Behandlung starker oder sehr starker Schmerzen eingesetzt. Im Handel sind die Lösung, die unter die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) fällt, und Retardtabletten, die auf einem Muster-16-Formular verordnet werden können. Die fixe Kombination aus einem stark wirksamen Analgetikum aus der Gruppe der Opioide und einem Opioidantagonisten soll den Missbrauch mindern. Das Verhältnis der beiden Inhaltsstoffe ist so gewählt, dass die Wirkung von Tilidin nicht gemindert wird. Tilidin ist ein Prodrug mit nur schwacher Opioidwirkung, die aktive Substanz ist Nortilidin, die über den First-Pass-Effekt der Leber entsteht. Naloxon hingegen wird durch diesen First-Pass-Effekt sehr schnell abgebaut. Wird das Arzneimittel nicht peroral eingenommen, entsteht weder die aktive Form des Tilidins, noch wird der Inhibitor Naloxon abgebaut. Die opioide Wirkung bleibt somit aus.
Phenprocoumon wird durch das Cytochrom-P450-Isoenzym 3A4 metabolisiert. Möglicherweise kommt es hier zu einer Interaktion, da Tilidin das Enzym hemmt. Das Analgetikum und seine Metaboliten sind jedoch nicht als starke Inhibitoren von CYP450 3A4 bekannt.
Kommunikation: Im deutschen Spontanmeldesystem sind Fälle von INR-Anstiegen erfasst, die vermutlich auf die Interaktion zurückzuführen sind. In einem speziellen Fall war der INR zu Therapiebeginn bei 2,2 (Quick 33 Prozent) und nach fünf Wochen der Tilidineinnahme in der Stärke 100/8 mg pro Tag bei 3,5 (Quick 18 Prozent). In der Folge fand eine Anpassung von Phenprocoumon statt, dennoch stieg der INR auf 5 an. Nachdem das Schmerzmittel abgesetzt wurde, lag der Wert nach wenigen Tagen bei 1,3 (Quick 69 Prozent). Der Einzelfall zeigt, dass ein möglicher Zusammenhang zwischen dem INR-Anstieg und der Kombination aus Tilidin/Naloxon und Phenprocoumon wahrscheinlich ist.
Therapie: Eindeutige Belege für einen INR-Anstieg gibt es bislang dennoch nicht. Daher sollte die Patientin ihre Prothrombinzeit engmaschig kontrollieren lassen. Empfohlen wird vor allem eine INR-Bestimmung zu Beginn und Ende der Schmerzmittelmedikation. Wenn nötig, muss die Phenprocoumondosierung angepasst werden.
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